Donnerstag, Januar 31, 2008

Lieben != Brauchen

Neulich sprach ich mit einem Freund über Beziehungsschwierigkeiten und davon, wie es bei manchen Leuten mit Streits und Tränen abgeht, welche auch unbewussten Tricks manchmal aufgefahren werden, um die Beziehung zu kitten, obwohl beiden klar ist, dass es so nicht weitergehen kann. Da sagte der Freund zu mir:

"Wahre Liebe ist, wenn dich der Partner dann mit Tränen in den Augen flehend ansieht und fragt: 'Liebst du mich?'"

Was auf den ersten Blick völlig klar wirkt, ließ mich eine Weile überlegen und dann sagen:

"Offen gesagt glaube ich, genau das ist keine Liebe. Was du gerade beschrieben hast, zeigt eigentlich viel eher, dass der Partner dich braucht; denn er hat keine Wahl. Liebe kennt keine Bedingung und sorgt allenfalls für Freudentränen, aber wer dich so anfleht, braucht dich und kommt mit der Erkenntnis nicht klar, dass du ihn nicht so sehr brauchst wie er dich."

Lieben ist eben was anderes als Brauchen, auch wenn manche bei laufenden Tränen und dem Verb "lieben" gern alles sofort für Liebe halten.

Wenn ich zu Besuch komme

Dieser Artikel hat keine aktuelle Bewandnis, lag nur schon eine Weile in meinem Blog als Entwurf herum, weil ich wegen aktueller Nachfragen mal auf die Idee kam, diese Liste zu erstellen, um Gastgebern das alles hier nicht immer wieder erzählen zu müssen.

Also: Manche von euch fragen mich manchmal, was ich denn gern hätte, wenn ich zu Besuch komme. Und die Liste ist eigentlich nicht lang, aber ich möchte sie euch trotzdem nicht vorenthalten:

- Käffchen! Ganz wichtig! Am besten handgekochten Espresso. Filterkaffee ist bäh. Und bitte mit Milch. Zucker nehm ich nicht, nirgendwo. Aber Milch im Kaffee ist echt wichtig.

- Total wichtig ist mir auch, eine 2,20 Meter lange Decke zu haben. Alles drunter ist mir zu kurz. Ich nehm auch lieber nen Schlafsack als ne kurze Decke. Hauptsache, meine Füße sind zugedeckt. Eine Nackenrolle ist übrigens auch ganz besonders super, aber ich schlaf auch ohne.

- Zum Frühstück: am liebsten Körnerbrötchen, Frischkäse, Hühnerbrust und Käseaufschnitt. Marmelade, Tomate, Gurke und Paprika sind auch nicht schlecht. Wenn man's besonders hart treiben will, ist Rührei auch immer geil.

- Internetanschluss mit WLAN ist immer super.

- Ein ganz besonderer Schmeichler ist feuchtes Toilettenpapier. Sowas sollte eigentlich eh in jedem Haushalt Pflicht sein. Ich musste das in der Kanzlei auch erst selbst hinstellen; dabei frage ich mich manchmal, wie Kollegen ihren Arsch abwischen, wenn sie mal wieder den Vollschmierkot hatten. Im Ernst. Oder ernähre ich mich als einziger Mensch auf der Welt falsch?

Seht ihr? Das war's schon. Hat doch gar nicht so weh getan.

Übrigens: Sollte manch einer von euch denken, ich würde diese Blog-Einträge schreiben, weil ich keinen Bock habe, diese Geschichten immer wieder zu erzählen, dann sei denjenigen gesagt: Das stimmt nicht … ganz. :)

Einerseits hat es natürlich einen Vorteil, eine Geschichte nur einmal runterschreiben zu müssen und sie euch allen zum Lesen geben zu können. Dann spare ich mir tatsächlich das viele Reden, aber praktisch auch viel Zeit, die ich sonst gar nicht aufbringen könnte, weil ich ständig zu tun und selten die Ruhe für ausführliche Gespräche habe. Da ist es mir lieber, ihr könnt diese ganzen Sachen lesen, wenn ihr wollt und Zeit habt, als dass ich mich in vielen kurzen Anrufen abhetzen muss.

Außerdem haben diese Einträge noch einen anderen Vorteil: Ihr bekommt die Sachen in der richtigen und durchdachten Reihenfolge zu lesen, weil ich die Geschichten nach Belieben liegen lassen und nach dem ersten Entwurf nachfetten und umstrukturieren kann, wenn mir später noch was einfällt. So unterhaltsam ihr nämlich vielleicht Manches hier findet, so selten fallen mir diese Geschichten sofort in der richtigen Abfolge und in dieser Blumigkeit ein. Da ist es toll, wenn ich für die Geschichten genug Zeit habe, sie selbst noch einmal zu lesen, zu durchleben und damit zu merken, ob sie sich auch tatsächlich so ereignet haben oder welche Änderungen noch nötig sind.

DU indiskrete Sau machst Datenschutz?!?

Mancher von euch kann sich an die Tiraden erinnern, die ich verschiedentlich von mir gegeben habe, auf Partys, beim Brunch und eigentlich allen anderen Gelegenheiten, bei denen man Geschichten erzählen konnte. Tiraden darüber, dass ich beruflich gern was anderes machen würde, dass die Essener Kanzlei nicht das Richtige für mich sei, dass ich mich dort nicht wohl fühlte. Meist war das mit kleinen Anekdoten gespickt, die weder gelogen noch übertrieben waren, die aber meist die ganze Runde belustigten oder schockierten.

So manches Mal gefiel ich mir ziemlich gut in der Rolle des Anfangdreißigers, der elf Jahre Jura gemacht hatte und jetzt bereit war, für einen tollen Job in die große weite Welt zu gehen, nach München, Zürich oder Kalifornien. Freunde schön und gut; klar würde ich die vermissen. Aber ich hatte keine Angst vor Veränderung oder Unsicherheit. So weit war ich gekommen; ich konnte alles schaffen, und wenn ich diese Geschichten erzählte, fühlte ich es auch. Alles war möglich; ich konnte alles erreichen.

Das Ganze begann vor etwa einem Jahr, als ich mal wieder unglücklich mit meinem Anwaltsjob war. Nicht nur unglücklich darüber, dass (und vor allem wie) mein Chef mir andauernd zu verstehen gab, dass er nie mit meiner Arbeit zufrieden war. Sondern darüber, dass ich nie tun konnte, was mir Spaß machte und Energie gab. Von Montag bis Freitag, von morgens bis abends saß ich an meinem Schreibtisch in der Kanzlei, bearbeitete Akten, von denen mir die meisten herzlich wenig bedeuteten, hörte mir die selben schlechten Sprüche an, stieß mich an der Engstirnigkeit mancher Kollegen und der traurigen Erkenntnis, dass Ideen ständig zerredet wurden und niemand im Büro Visionen hatte. In gewisser Weise erinnert mich der Job an eine Beziehung, die ich vor Jahren mal hatte, in der ich nach einem halben Jahr wusste, dass sie eines Tages enden würde, dass es nur eine Frage der Zeit wäre.

Bis vor etwa einem Jahr hing ich aber nur mehr oder weniger kraft- und perspektivlos in meinem Job. Ich ging zur Arbeit, weil man das halt so machte und ich mir einredete, ich hätte keine Wahl. Der Juristenmarkt ist hart. Das sagen schließlich auch alle. Was sollte ich da schon machen mit meinen Vierer-Examina.
Aber eine Sache gab mir Halt: die Perspektive, dass ich irgendwann zu meinem Partner Uwe nach Berlin ziehen und dort einen neuen Job annehmen würde. Etwas Tolles oder immerhin ganz Brauchbares würde es werden, und es wäre schon okay gewesen, weil ich ihn in der Nähe gehabt hätte.

Anfang 2007 erzählte mir dann Michael, ein Freund, der damals noch in Düsseldorf wohnte, dass er sich beruflich verändern und teilberuflich Job Coaching machen wolle. Er bot an, das mal mit mir zu machen, und ich freute mich sehr über das Angebot. So setzten wir uns drei- oder viermal bei ihm für ca. eineinhalb Stunden hin, etwa einmal pro Monat, das erste Mal im Februar. Er stellte mir Fragen darüber, was mir Spaß machte, in welchem Umfeld ich gern arbeiten würde, welche Inhalte mich bewegten und so weiter. Ich arbeitete liebend gern mit diesen Fragen, auch wenn sie für mich anfangs wie aus einer anderen Welt klangen. "Was meinst du mit: 'Worüber willst du Vorträge halten?' Das weiß ich auch nicht; ich stehe einfach gern auf der Bühne und unterhalte." Solche Sachen kamen aus mir heraus.

Es blieb nicht bei den Gesprächen. Michael gab mir Hausaufgaben auf, und als ich sie machte, begann ich zu spüren, wie in mir etwas zu wachsen begann. Ich ließ meine Angst vor dem ach so bösen Arbeitsmarkt die aufkommende Idee zu Anfang allerdings noch trüben. Es fühlte sich an, als würde ich meinen idealen Job mit Putzhandschuhen betasten.

Jede Sitzung mit Michael brachte mir nicht nur eine klarere Vorstellung von meiner zukünftigen Tätigkeit, sondern auch eine himmlische Ruhe, für die ich Michael unbeschreiblich dankbar bin. Da saß er und sprach vom Spaß bei der Arbeit, dem idealen Umfeld für die eigene Entwicklung, der Fülle an Möglichkeiten und wie schnell sich alles bewegen könne. Meine Hausaufgaben machte ich artig und fleißig, und dann kam die letzte Sitzung, an deren Ende ich eine Marschroute in der Hand hielt:

- Jobs identifizieren, die mir Spaß machen könnten
- Leute heraussuchen und um ein Interview bitten, die diese Jobs machten
- Unternehmen heraussuchen, die diesen Job anbieten
- Ansprechpartner suchen und bewerben

Besonders schön war damals: Wegen Uwe hatte ich auf jeden Fall schon mal eine Priorität: Berlin oder Umgebung. So behämmert es vielleicht für den einen oder anderen von euch klingen mag, die Beschränkung "Berlin oder Umgebung" machte das Ganze für mich leichter, weil ich nicht mehr unter allen Möglichkeiten der Welt auswählen musste. Denn unter tausend Möglichkeiten zu wählen, ist viel schwerer als die Wahl unter dreien.

Aber obwohl ich genau wusste, wie es laufen musste, wusste ich nicht, wo ich anfangen sollte, und hatte Angst vor jedem Telefonat mit einem völlig Unbekannten, dem ich erzählen müsste, das könnte jetzt für ihn total komisch klingen, aber ich sei ein deutscher Rechtsanwalt, der sich beruflich umorientieren wolle und gern im IT-Bereich arbeiten wolle, der gern Kundenkontakt habe, reisefreudig sei, Vorträge halten und Projekte von null an konzipieren wolle.

So vermied ich die meisten Anrufe mit der Begründung, es sei ja so schwer, Ansprechpartner zu finden, Unternehmen seien ja so groß, dass man da nie den richtigen finden könnte. Riesenunsinn natürlich, aber sich selbst belügt man ja oft am besten. Und das Behämmerteste: Ich wusste genau, dass ich mich belog.

Im April 2007 machte Uwe dann mit mir Schluss, und die einzige Priorität meiner Arbeitssuche fiel damit weg. Die Qual der Wahl lastete noch schwerer auf mir als vorher. So geil war Berlin dann nun doch nicht, dass ich dort auf jeden Fall hin musste, vor allem arbeitsplatztechnisch.

Übrigens: Irgendwann im Mai handelte ich mir dann eine "mündliche Abmahnung" von meinem Chef wegen einer Sache ein, die ich mich nicht zu schildern traue, erstens weil mein Chef das hier lesen könnte und zweitens weil es um eine so peinliche Lapalie ging, dass mich Amalia gestern, als sie davon erfuhr, erst fragend und dann vorwurfsvoll ansah. Das war jedenfalls einer der Momente der letzten zwei Jahre, in denen ich mich in der Kanzlei am schlechtesten aufgehoben gefühlt habe.

Wie einfach so eine Jobsuche jedenfalls von außen aussehen kann, zeigte mir dann mein Coach Michael selbst. Im Sommer 2007 fand Michael nämlich den Job, nach dem er etwa ein halbes Jahr gesucht hatte, mit den richtigen Leuten, dem richtigen Umfeld und der richtigen Bezahlung. Der Job war in Barcelona. Kein Thema für Michael; er zog einfach mit Sack und Pack rüber, brach alle Zelte ab. Warum auch nicht? Michael hatte schon lange Zeit im Ausland gelebt und gearbeitet, sprach fließend Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch, war schier grenzenlos interessiert an anderen Kulturen und liebte Latinos. Er ist einer der weltzugewandtesten Menschen, die mir je begegnet sind, und ich bewundere seine bodenständige und gleichzeitig federleichte Art, mit dem Leben zu tanzen.

So vergingen die Monate, und ich sah mich mal hier um, mal dort, schickte nach meiner Erinnerung auch die eine oder andere Bewerbung raus. Alles ergebnislos, vor allem bei Google. Die Jungs bei Google hatten es nämlich auf keine meiner fünf Bewerbungen nötig, was anderes als automatisch generierte Empfangsbestätigungen meiner Bewerbungen zu schicken. So geht's natürlich auch.

Es gab eine München-Phase, in der ich auf Hinweis meines Freundes Paul aus München um ein Haar einen sehr sehr coolen Job beim IT-Berater Skytec bekommen hätte. Es passte alles, wirklich alles, vom beruflichen Umfeld über München als Stadt, den Arbeitgeber bis zum Projekt. Nur der Projektkunde fand mich "zu brilliant" und bevorzugte dann einen Diplominformatiker für einen Job, bei dem es darum ging, Mitarbeitern eines Konzerns eine vereinheitliche Internetplattform zur Durchführung von Studien näher zu bringen. Als ich diese Absage bekam, fiel ich von meinem Dauer-Adrenalin-Hoch in eine längere Phase von Antriebslosigkeit. Ach ja, Reinhold aus München, für den ich damals alles stehen und liegen gelassen hätte, wollte dann auch doch keinen Kontakt zu mir. Andere Geschichte, aber das konnte ich in der Situation natürlich besonders gut gebrauchen.

Gott sei Dank kam Amalia dann als Mitbewohnerin in mein Leben. Die kennt ihr ja mittlerweile. Das war toll, von Anfang an, und gab mir wahrscheinlich so viel Kraft wie ihr. Ich hatte mich in meiner kleinen Wohnung ja immer wohl gefühlt, aber mit ihr war's noch viel besser. Plötzlich war es eine realistische Option, sich zu Hause auf Dauer wohl zu fühlen und gar nicht rausgehen zu müssen.

Dann gab es eine Zürich-Phase, natürlich auch wieder durch einen Mann eingeleitet, den ich über Gayromeo kennengelernt hatte. Ich war nie so blöd, wegen eines Mannes irgendwo hinzuziehen, wo ich mich allein unwohl fühlen würde, aber wenn die Geschichte mit einem Partner losgeht, ist es natürlich nicht das Schlechteste. Naja, obwohl ich von der Größe der Kernstadt Zürich mit etwa 370.000 etwas enttäuscht war, fand ich die Stadt ganz in Ordnung, und ich wäre gern einer der Deutschen gewesen, die die Schweizer mit offenen Armen empfangen. Vor allem so mancher Zürcher Mann darf gern seine Gliedmaßen für mich spreizen. Und ich sage es offen: So freundlich, wie bei den Zürcher Unternehmen bin ich noch nirgends behandelt worden. Selbst die Absagen waren so nett, dass ich mich darüber freute.

Im Anschluss daran flog ich erst mal in den Urlaub und liebte diese Abwechslung vom ganzen Einerlei, traf Terry und hatte erst mal wieder aus ganz anderen Gründen als Jobsuche Herzklopfen.

Nach meiner Rückkehr nach Deutschland kam dann wieder eine schwierige Phase, in der ich es meinem Chef nie recht machen konnte. Der andere Moment, in dem ich mich am schlechtesten in der Kanzlei aufgehoben fühlte, kam auch irgendwann in dieser Zeit, als mein Chef mal wieder einen schlechten Tag hatte. Da machte die freundlichste Sekretärin der Kanzlei, die ich immer wieder gern zum Lachen gebracht habe und die mir viele Male ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert hat, einen winzigen, geradezu lächerlich unbedeutenden Fehler: Sie schrieb einen französischen Namen, der ihr nicht geläufig war, aus einem Diktat heraus mit einem "E" statt dem "A". Diese Kleinigkeit wäre wahrscheinlich jedem in ihrer Situation passiert, aber mein Chef regte sich furchtbar auf, bestellte sie zu sich ins Büro, brüllte sie an, schlug mit der Faust auf den Tisch und solche Sachen, sodass sie daraufhin vorn am Empfang zu weinen begann. Ich sagte ihm etwa eine Stunde später, als er sich beruhigt hatte, dass ich das unmöglich gefunden hätte, wie er sie behandelt hätte, und er kläffte zurück: "Warten Sie mal, bis Sie das nächste Mal so eine Ansage kriegen!" Da war für mich klar, dass meine Tätigkeit dort ein Ende haben würde. Es war nur eine Frage der Zeit.

Vor allem in dieser Zeit dachte und erzählte ich auch allen, der Anwaltsberuf sei nichts für mich. Das ist aber nicht die ganze Wahrheit, auch wenn ich das damals dachte. Und ja, mich kotzte damals fast alles an, was ich in der Kanzlei machte. Aber nicht, weil die Tätigkeit so grenzenlos uninteressant für mich war, sondern wegen der konkreten Arbeitssituation. Ich war Assistent des Seniorpartners und musste damit immer sofort antanzen, wenn ihm gerade was einfiel. Das Feingefühl dafür, wann ich ihn stören konnte und wann nicht, brauchte er bei mir nicht zu haben. Er Chef, ich nix. Das hatte zwangsläufig zur Konsequenz, dass ich mich als Anwalt nie so richtig entwickeln konnte. Wir arbeiteten mit offenen Bürotüren, sodass ich meine Tür immer schließen musste, wenn ich konzentriert arbeiten musste und er mal wieder ins Telefon schrie. Und das tat er immer. Er führte es auf seine Hörgeräte zurück, aber wenn er nicht telefonierte, sprach er ganz normal.

Ein paar Male bekam ich Sprüche zu hören, wenn ich meine Tür schloss, um zu arbeiten. Ich hätte wohl keine Lust zu lernen, worüber er sich gerade mit einem Kollegen unterhalten hätte. "Aber Herr Stiegler hat ja heute schon so viel gelernt; der braucht das nicht mehr zu wissen." Einmal -- nach diesem Spruch -- ging ich zur Tür seines Büros und fragte: "Das war ein Witz, oder?" Er sah mich und lachte: "Wieso?" Ich drehte mich um, sagte "Alles klar" und ging zurück in mein Büro. Tatsächlich war für mich so Einiges ziemlich klar in solchen Situationen.

In Wahrheit hat der Anwaltsberuf aber durchaus seine schönen Seiten; von denen hatte die Kanzlei nur wenige zu bieten.

Verschiedentlich habe ich mich bei euch darüber ausgeheult, ich wollte mich beruflich verändern, träte in der Essener Kanzlei nur auf der Stelle und so weiter. Ich danke euch sehr für euer offenes Ohr und dafür, dass ihr mir diese ganze Kraft gegeben habt. Und ich freue mich sehr, euch sagen zu können, dass das Jammern jetzt ein Ende hat.

Sehr bald -- genauer Zeitpunkt muss noch vereinbart werden -- werde ich bei bei einem Datenschutzunternehmen in Düsseldorf anfangen. Dort werde ich in Sachen Datenschutzrecht für die Kunden des Unternehmens Beratung machen. Und als wäre die Gruppe nicht eh schon sehr cool, und als wäre das nicht inhaltlich schon geil genug, machen die Jungs auch noch eine gehörige Portion IT-Beratung, ich kann dort mal gelegentlich das schon länger überlegte ITIL-Zertifikat machen und mich rundherum wohl fühlen.

Den Job hat mir Amalia rangeschleppt. Kein Witz. Sie saß eines Tages im August in ihrem Fachanwaltslehrgang, und der Dozent war so schlecht, dass sie nachmittags einfach nicht wieder in den Schulungsraum ging, sondern im Internetraum sitzen blieb, um nach Jobanzeigen zu suchen. Da stolperte sie über die von meinem zukünftigen Arbeitgeber, auf die ich mich dann am Tag darauf bewarb. Sie war sehr zuversichtlich, von Anfang an: "Den Job kriegst du." Ich war mir da allerdings nicht so sicher wie sie.

Man meldete sich auf die Anzeige bei mir und lud mich Anfang November zu einem Vorstellungsgespräch, das auch noch ganz gut lief. Man war im Unternehmen offenbar begeisterter von mir, als ich gedacht hatte, und sagte mir schon eine Woche später, ich könne mich darauf verlassen, dass man "mit mir zusammen arbeiten wolle". Um ein Haar hätten die Jungs es noch auf die Reihe bekommen, den Vertrag so schnell klar zu machen, dass ich an dem Tag gekündigt hätte, an dem die Kanzlei das Weihnachtsgänseessen hatte. Das wäre nicht geplant, sondern schlicht der letzte Tag meiner Kündigungsfrist zum Ende Dezember gewesen. Im Nachhinein bin ich aber froh, dass das nicht geklappt hat, weil mein Chef da eh schon ziemlich aufgelöst war.

Das Gespräch suchte ich mit meinem Chef, als ich den Arbeitsvertrag in der Tasche hatte. Das war Anfang Januar. Ich kündigte nicht sofort, sondern kündigte nur an, dass ich gehen wolle. Ich war ziemlich aufgeregt vor diesem Gespräch, aber es lief sehr friedlich, und er war fast freundlich. Ich konnte -- wie auch vorher -- noch immer nicht einschätzen, ob er froh war oder scheiße fand, dass ich ging. Das wurde erst wenige Tage später klar, als er mich über einen Bekannten, der mir den Job in der Kanzlei beschafft hatte und ein alter Freund meines Chefs ist, wissen ließ, dass er mich gern behalten wolle und bereit sei, allerlei Zugeständnisse zu machen. Fast hätte ich es mir sogar noch überlegt, aber es gab praktisch keine Lösung, ihm bei meinem neuen Job das zu geben, was er wollte. Meine Tage haben eben auch nur 24 Stunden.

So werde ich voraussichtlich zum 1. März als Datenschutzbeauftragter anfangen, auch wenn ich heute schon den zweiten Kundentermin für die Jungs wahrgenommen habe, was auch mit meinem Noch-Chef abgeklärt ist. Ich hätte zwar gern noch Urlaub gehabt, bevor ich dort anfange, vor allem weil ich dort auch wieder ein halbes Jahr Probezeit habe. Aber das wird wohl nichts mehr werden. Die Jungs dort sind unheimlich cool und würden mir bestimmt auch Urlaub geben, aber ich möchte meinen neuen Job ja nicht mit Urlaub beginnen, sondern freue mich sehr über die Aufgaben, die da auf mich zukommen.

Außerdem sehr geil: Der Laden ist bei mir um die Ecke, etwa fünf Minuten Fußweg entfernt, und man gibt mir dort alle Freiheiten, ist auch von der Dozententätigkeit begeistert und unterstützt mich darin! So etwas war in den letzten zwei Jahren undenkbar; da wurde alles ausgebremst, was ich an Ideen herankarrte (bis das Geschäft nachließ und man merkte, dass man das Thema "Marketing" vernachlässigt hatte).

So ging ich jedenfalls vor wenigen Wochen an einem Dienstagabend mit Nico, seinem Freund und Amalia abends zu MoschMosch in der Kö-Galerie essen und berichtete davon, dass "das mit der Datenschutzbude jetzt geklappt hatte". Natürlich kam die Gegenfrage, was ich denn dort machen würde, und ich erzählte es.

Prompt kam mit weit augerissenen Augen seine Gegenfrage: "Du indiskrete Sau machst Datenschutz?!?" Und mit breitem Grinsen nickte ich eifrig mit dem Kopf und gab ein zufriedenes "M-hm!" von mir.

Aber damit der Geilheit nicht genug!

Vor etwa einem Monat sprach mich ein alter Demoszenefreund an, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm zusammen an einer FH zu dozieren. Das alles ist noch nicht in trockenen Tüchern, weswegen ich noch nicht viel sagen kann, außer dass die Themen ("Internet" und "Interaktive Medien") mich schon a priori kicken, das mit ihm viel Spaß machen und mich furchtbar weiter bringen wird. Endlich dozieren! Das wollte ich schon immer, und dann kommt das wohl jetzt auch noch mit so richtig geilen Themen!

Und noch was Geiles hab ich zu berichten: Amalia ist auch auf der Suche nach einem Job, weil ihr aktueller Sachbearbeiterjob sogar für durchgefallene Juristen eine Schande wäre. Ich wäre allein nie auf die Idee gekommen, aber neulich sagte sie abends mal, sie könnte sich schon vorstellen, an meiner Statt Assistentin meines Noch-Chefs (wehe, es lacht einer von euch wegen "Assistentin"!) zu werden, und als ich merkte, dass sie es ernst meinte, bat ich sie um ihre Unterlagen und legte sie mit ein paar wohlwollenden Worten meinem Noch-Chef auf den Tisch. Er zögerte erst, weil er -- wie er sagte -- "eigentlich keine Frau als Assistentin" haben wolle, lud sie dann aber doch zum Gespräch ein. Wie das gelaufen ist, kann ich nicht sagen, weil man mich in der Kanzlei jetzt von allen Informationen zu diesem Thema abschirmt, aber Amalia wünscht sich den Job, und ich weiß, sie kann dort eine bessere Figur machen, als ich das getan habe. Sie möchte in einer Kanzlei arbeiten, was ich im Grunde nie wollte, und wenn sie mit mir umgehen kann, kann sie auch meinen Noch-Chef ertragen.

Und ich wünsche ihr sehr, dass sie den Job bekommt, auch wenn ich mir erst nicht vorstellen konnte, dass sie ihn machen wollen könnte.

Fazit:

Was für eine geile Kombination! Ich bin furchtbar glücklich, dass wieder Bewegung in mein und Amalias Berufsleben kommt, dass ich was Neues und vor allem für mich inhaltlich viel Interessanteres machen kann, dass meine Kollegen Visionen haben, dynamisch und witzig sind und dass man mir so viele Möglichkeiten gibt, mich einzubringen und alles mitzugestalten.

Wenn das alles klappt, habe ich nur noch "- Neuen Partner!" auf meiner To do-Liste für 2008. Aber ich liege dann gut in der Zeit, hm?

Mittwoch, Januar 30, 2008

Trauer um den gehobenen Blick

In Köln sieht man es an manchen Stellen in Weiß auf die Straße geschrieben: "Blick heben"
Das gefällt mir sehr; denn Deutsche mit ihrer bescheuerten, distanzierten und unfreundlichen Art könnten wenigstens mal schauen, wo sie hinlaufen. Frauen sind besonders geil; viele schauen nicht weiter als bis zwei Meter vor sich auf den Boden. Das nervt vor allem, wenn viele Menschen auf der Straße sind, einige davon noch mit Regenschirm und Kinderwagen, und man einen Funken Kooperation von allen Beteiligten gut gebrauchen könnte.

Aber es gibt nicht nur Menschen, die beim Laufen aus Gedankenlosigkeit doof auf den Boden glotzen. Sondern es gibt auch welche, die das mit voller Absicht tun.

Warum?

Um Geld zu finden.

Klingt zu bescheuert, um wahr zu sein? Dachte ich auch. Bis mir neulich eine Dame, mit der ich beruflich zu tun habe, stolz erzählte, sie hätte im vergangenen Jahr insgesamt elf Euro irgendwas auf der Straße gefunden. Und nein, es sei kein Zehn-Euro-Schein dabei gewesen, aber schon zwei Zwei-Euro-Stücke. Das habe es natürlich ziemlich leicht gemacht, so viel Geld zu finden.

Klar ist: Sie muss, um auf so viele herumliegende Münzen aufmerksam zu werden, den Boden geradezu absuchen; sonst kann das nichts werden. Und mir ging erst später auf, wie schrecklich eigentlich ist, was sie damit gesagt hat. Das heißt nämlich, dass sie ihre Aufmerksamkeit ganz absichtlich von ihrer Umgebung ablenkt, um nach Geld zu suchen.

Wie schlimm kann es bitte um jemand einzelnen oder um eine Gesellschaft als Ganzes bestellt sein, dass man sich statt auf seine Umwelt auf herumliegendes Geld konzentriert, um am Ende alle zwei Jahre genug Geld für nen Kasten Bier zu haben?

In stiller Trauer,
Euer Pöt

Und überhaupt O2 mit seinem superen Herrn Fieker

Da soll noch mal einer sagen, alle Telekommunikationsanbieter wären unflexibel, schwer zu erreichen oder unfreundlich. Gestern Abend hatte ich ein Gespräch mit O2 -- genauer gesagt einem Herrn Fieker -- von der O2-Spezialkündigungs-Vertragsverlängerungs-undsoweiter-Abteilung, das bewiesen hat, dass es auch anders geht.

Schon seit Monaten erschrak ich immer wieder, wenn ich meine Handyrechnungen bekam. Mal "nur" 62 €, dann mal wieder fast 130. Da stimmte was nicht, vor allem, weil ich fast nie telefonierte, nur hin und wieder mal eine Kurznachricht schrieb und oft auch in der Homezone war, wo Telefonieren ja eh günstiger ist. Also schaute ich mir mal an, wie hoch meine Handyrechnungen im Schnitt in den letzten fünf Monaten gewesen waren. Knapp 90 €; viel zu hoch für das, was ich vertelefoniert hatte.

Also mal die Konkurrenz prüfen: BASE bietet im Moment ein Winter-Special an, bei dem man bei Online-Anschluss ich-weiß-nicht-wie-viele Frei-SMS bekommt, Deutschland-weit auch in alle Mobilnetze kostenlos telefonieren kann und so weiter. Ich glaub, das kostete so 65 € pro Monat; kein Anschlusspreis.

Mein aktueller Vertrag bürdete mir monatlich eine Grundgebühr von brutto etwa 10 € auf; also konnte ich sogar noch sparen, wenn ich diesen BASE-Tarif nahm und mein altes Handy einfach nebenher liegen ließ. Perfekte Grundlage für ein Gespräch mit O2.

Mich nervte der bevorstehende Anruf trotzdem, weil es mich immer Überwindung kostet, mich mit diesem ganzen Tarif- und Abrechnungskrempel zu beschäftigen. Aber da ich es jetzt schon mal getan hatte, konnte ich auch einfach mal fragen. Also O2-Hotline angerufen, hatte eine Dame am Telefon, deren Namen ich auch bei der zweiten Nachfrage nur klanglich erfassen, aber nicht schreiben konnte. Die war ganz nett, aber offensichtlich nur eine Callcenter-Tante: "Wie kann ich Ihnen helfen?" Ich antwortete: "Sie können mir helfen, meinen Vertrag günstiger zu machen."
Denn das war, was ich wollte. Sie führte meine hohen Kosten auf die O2-Inside-Option zurück, die ich wohl mal genommen hatte, weil mein Ex aus Berlin auch bei O2 war. Seit der Trennung telefonierte ich natürlich mit ihm viel weniger, dafür mehr mit anderen. Also jetzt etwas doof gewählte Option. Nun ja.

Ich rechnete ihr also das BASE-Beispiel vor, und sie konterte mit allerlei Scheiß von wegen Vertragsverlängerung, die ich haben müsste, dass ich ja kein "Online-Kunde" sei (die die Telefonhotline noch extra bezahlen müssen) und so nen Müll. Ich sagte noch zu meiner eigenen Belustigung: "Hinter so Online-Kunden sind doch auch nur Menschen wie ich." Amalia saß neben mir und begann leise zu lachen.

Jedenfalls zeigte sich Frau Klangerfasst wenig kooperativ, erzählte mir, Vertrag sei ja nun mal Vertrag, und rückte auch nicht davon ab, als ich ihr sagte, einen Vertrag könnte man auch gemeinsam ändern. Offensichtlich konnte sie das nicht, und das überraschte mich auch nicht. Callcenter-Heinis haben natürlich nicht die Möglichkeit, grobe Vertragsänderungen zu machen.
Es schien ihr jedenfalls doch eingeleuchtet zu haben, dass mich die Lösung mit dem zusätzlichen BASE-Vertrag noch günstiger käme, als so weiterzumachen wie bisher. So bot sie an, mich mit "der Spezialabteilung" zu verbinden, als ich ihr sagte: "Aber Ihnen ist doch klar, dass Sie mich mit diesem Preismodell geradezu zur Konkurrenz drängen, oder? Ich kann doch bei dem, was Sie mir anbieten, gar nichts anderes machen." Ich bat darum, verbunden zu werden, zwinkerte Amalia zu und lächelte: "So wird das doch was."

In "der Spezialabteilung" begrüßte mich Herr Fieker. Auch da musste ich zweimal nachfragen, aber er buchstabierte seinen Namen und fügte hinzu: "Ja, das geht vielen so. Machen Sie sich keine Gedanken." Erst im Nachhinein fiel mir auf, dass die meisten denken mussten, er hieße "Ficker". Nun ja. Jedenfalls führte ich mit ihm ein sehr angenehmes Gespräch, und er zeigte sich sehr kooperativ, sah das alles ein und auch, dass man mir was bieten müsste, damit ich bei O2 bliebe.

Erst bot er mir an, dass der Vertrag kostenlos auf XL umgestellt würde und ich den Online-Rabatt (für Online-Abschluss) von 15 % bekäme. Dann sagte ich, mir seien die SMS zu teuer, so viele würde ich ja wirklich nicht schicken, ob man denn da was drehen könnte. Er bot 50 Frei-SMS an, ich bat darum, es auf 60 zu heben, damit man grob "zwei pro Tag" hätte. Einverstanden. Dann sprachen wir über Vertragsverlängerung, und ich sagte, mir wäre es lieber, wir würden den Vertrag zeitlich so laufen lassen, wie er im vergangenen Jahr (März oder so) abgeschlossen wrde, und wenn ich mich wohl fühlte, bliebe ich auch bei O2. Auch das machte er mit. Dann sprachen wir über den Unterschied zwischen Online- und normalem Kunden, und er sagte, bei ersten sei die Telefon-Hotline kostenpflichtig. Ich sagte, das fänd ich überhaupt nicht gut, weil ich die Hotline nur anriefe, wenn ich wirklich nicht weiter wüsste, und es mich ärgert, wenn ich dann dafür noch Geld zahlen soll. Ob man mir für die Tatsache, dass die Hotline dann kostenpflichtig wäre, denn noch mehr Frei-SMS geben könne, fragte ich. Er überlegte ein bisschen, sagte dann: "Was halten Sie davon, dass wir es anders machen? Ich kann mich für Sie mal besonders weit aus dem Fenster lehnen und Ihnen den Online-Rabatt geben, Sie aber als Nicht-Online-Kunden weiterführen. So haben Sie die Hotline dann weiterhin kostenlos."

Wie ich das fand? Arschgranatengeil natürlich!

Am Ende kam also heraus:

- Mein Vertrag wird zum 31.01.2008 auf Genion XL umgestellt, kostet im Monat dann brutto etwa 76 €. Das ist immer noch 14 € billiger als jetzt mein Schnitt, obwohl ich ja kaum telefoniere.
- In diesen Kosten sind alle Anrufe in deutsche Fest- und Mobilnetze enthalten. [Mit Hitler-Stimme gesprochen:] Das ist die totale Flatrate!
- Ich bekomme dabei den 15 %-Rabatt, den Online-Kunden bekommen, werde aber nicht als Online-Kunde geführt, kann also den Telefonkundendienst weiterhin kostenlos in Anspruch nehmen.
- Ich bekomme 60 Frei-SMS pro Monat.
- Keine Gebühr für die Vertragsänderung.
- Keine Vertragsverlängerung, sondern der Vertrag wird einfach umgestellt und läuft weiter, wie im vergangenen Jahr im März oder so verlängert.

So mag ich das. Man ist bei O2 also wirklich darum bemüht, seine Kunden zu halten. Herr Fieker mag sich in diesem Fall "weit aus dem Fenster gelehnt haben", wie er sagte, aber erstens habe ich den O2-Jungs im vergangenen Jahr wahrlich genug Geld für Leistungen in den Rachen geschmissen, die ich bei der Konkurrenz deutlich günstiger bekommen hätte, und zweitens ist doch klar, dass ich bei einem Anbieter bleibe, der sich flexibel zeigt und sich um seine Kunden kümmert. Wenn ich mir dagegen das Gehampel ansehe, das ich vor Jahren bei Vodafone hatte, ist das hier im Vergleich paradiesisch.

Herr Fieker ist toll.

Also, Freunde: In Zukunft ruf ich euch lieber an, als Kurznachrichten zu schreiben. Ist nicht nur persönlicher, sondern für mich auch billiger. Und in wenigen Wochen werde ich wohl eh deutlich flexibler mit meiner Zeit sein.

Dienstag, Januar 29, 2008

Amalia, Marcus, Markus und die Einzugsparty

Oh Mann, jetzt ist es schon zwei Wochen her, dass Amalia die schnittgleiche Wohnung über mir bezogen hat, und ich hab's immer noch nicht geschafft, darüber zu schreiben. Also hier und jetzt:

Amalia und ich lieben einander und wollen nie wieder auseinander gehen. Ich persönlich möchte auch nicht auseinandergehen -- deshalb achte ich auf meine Ernährung --, aber das ist ein anderes Thema. Wir lebten über ein halbes Jahr auf 35 m² in einer Einzimmerwohnung, kein Streit, nicht mal eine echte Auseinandersetzung. Unser größtes Problem war, dass wir kaum Schlaf bekamen, weil wir jeden Abend bis tief in die Nacht lachen mussten. Selbst wenn es um das heiß umkämpfte Städterennen ging, machten wir uns fast ein vor Lachen.

Aber wir hatten kein Gästezimmer und zu wenig Platz für Klamotten. Deshalb mietet Amalia jetzt die schnittgleiche Wohnung über mir. Die hat Parkett und ist tiptop renoviert.

Vor zwei Wochen hatte sie dann ihre "Einzugsparty", und das darf man in diesem Zusammenhang auch total wörtlich nehmen. Als die ersten Gäste kamen, führte ich sie nach oben, schloss die Tür auf und begann dann, die ersten Möbel hineinzutragen. Das erste war glaub ich der Vorhang. Amalia war unten und bereitete was zu essen vor, glaube ich.

Wir saßen also am Mittwoch vor zwei Wochen oben in unserem "zweiten Wohnzimmer", wie wir gern sagen, und es war ziemlich ungemütlich, weil der Schall von den kahlen Wänden fast eins zu eins zurückgeworfen wurde.

Diese "Party" war aber so überhaupt nicht geplant gewesen. Amalia hatte sie aus einer Notlage heraus hastig zusammenorganisiert. Etwas sehr Witziges war nämlich passiert. Also witzig für mich, für sie nicht so.

Sie hatte am Abend vorher dem Marcus in Oberkassel, den ich immer den "C-Markus" nenne, eine SMS schicken wollen, ob er Lust hätte, auf ein Bier in ihre neue Wohnung zu kommen. So schickte sie die Nachricht auch an Marcus, aber an den falschen, nämlich denjenigen, den sie vor Monaten mal gedatet hatte, der auch sehr nett, aber auch zu dick war, dessen Nummer sie nur noch deswegen im Handy gespeichert hatte, weil sie vorbereitet sein wollte, falls der noch mal anriefe.

Er hatte sie offenbar sehr gemocht und schrieb nun zurück: "Ja klar, komme gerne vorbei!" Oder so ähnlich. Amalia schaut aufs Handy und begreift, was sie getan hat. Ihre Augen und ihr Mund weiten sich vor Schreck: "Ooooooooooh!"

Aber jetzt wird's erst lustig. Statt ihren Fehler einzugestehen und dem dicken Marcus zu sagen, dass es ein Versehen war, lädt sie noch mehr Leute ein und macht eine Party aus der ganzen Sache. Sie hatte im Fachanwaltskurs schon einmal von diesem damaligen Date mit Marcus berichtet, aber den Namen wohl nicht genannt. Würde sie jetzt aber den anderen Gästen Marcus vorstellen und eine kurze Zusatzinfo geben, wäre allen klar, wer das denn da ist, und alle würden einander kennen, nur Marcus nicht. Der würde nur nach Strich und Faden vorgeführt und ginge vermutlich irgendwann im besten Fall gelangweilt, im schlimmsten Fall geprügelt wie ein reudiger Hund nach Hause. Es war das perfekte Material für einen großen Hollywood-Showdown.

Am nächsten Morgen redete ich Amalia ins Gewissen, sagte ihr, es sei Marcus gegenüber sehr unfair, und wenn sie ihn nicht wiedersehen wolle, solle sie lieber direkt ihren Fehler zugeben, als Marcus auch noch vorzuführen und bloß zu stellen. Das tat sie eine Stunde später auch. Er war bestimmt angepisst, aber es war für alle das Beste.

Die Party war natürlich immer noch sehr improvisiert, aber es war gemütlich.

In den letzten zwei Wochen habe ich vor allem eins getan: meine ganzen überflüssigen Möbel in "Amalias Wohnung" abgestellt. Mein Kellerraum sieht viel besser aus jetzt, und "meine Wohnung" wirkt aufgeräumt, geradezu leergefegt. Sie richtet sich da oben jetzt erst einmal ein, und dann sehen wir weiter.

Um einem Missverständnis vorzubeugen: Wir haben jetzt zwei Wohnungen, sind da aber nicht so possessiv unterwegs. Wir sprechen auch immer nur aus Versehen von ihrer und meiner Wohnung, sagen stattdessen immer, dass wir jetzt oben oder unten sind, dass wir ein Extrazimmer haben und so weiter. Klar denken jetzt alle, Amalia wird auch in "ihrer" Wohnung schlafen. Das ist aber natürlich an sich erst mal Unsinn. Wir wollten ja nur einen Schlafplatz für Freunde, ein Gästeklo und eine Gästeküche haben. Und "ihr" Klo hat sogar eine richtige Lüftung; da können wir also ganz ausgezeichnet defäzieren und erbrechen. Und natürlich ist da oben jetzt viel Platz für Klamotten. Dass wir den Platz jetzt haben, heißt aber nicht, dass sie da oben jetzt immer schläft. Manchmal macht sie das natürlich, wenn sie bis tief in die Nacht Bücher herumräumt oder verzweifelt vor der Städterennen-Weltkarte steht.

Letztes müsste sie aber gar nicht machen. Ich mach in meiner aktuellen Finanzsituation eh keine großen Sprünge. Da fasse ich lieber mal Frankfurt, Hamburg und Nürnberg ins Auge.

SteuerBERATUNG!

Ich bin selbständig, auf dem Papier jedenfalls. Noch. Das ändert sich jetzt sehr bald, Gott sei Dank.

Aber weil ich (noch) selbständig bin, will das Finanzamt von mir Umsatzsteuervoranmeldungen und so Krempel haben. Und dann auch Einkommensteuer und die dazu passende Erklärung. Ich finde zwar immer noch schrecklich, das Bindungs-"s" bei "Einkommensssteuer" wegzulassen, aber man schreibt es jedenfalls ohne. Viele Dinge sind schrecklich und existieren trotzdem; Roland Koch z. B.. Ich sollte mich damit abfinden.

Weil ich keine Lust habe, mich mit dem Steuerkrempel zu beschäftigen, habe ich einen Steuerberater. Ist gleichzeitig ein Freund eines Freundes, und da fühlt man sich ja direkt besser aufgehoben. So ging mir das auch. Gut, er nimmt pro Monat netto 90 € für die laufenden Arbeiten und dann noch mal nen dicken Batzen für die Jahressteuererklärung, aber solange man sich gut aufgehoben fühlt, ist das ja alles okay. Hauptsache ich muss mich um nichts kümmern und weiß, wie viel Kohle ich aufm Konto lassen muss, damit ich meine Steuern zahlen kann.

So dachte ich mir das jedenfalls in meinem jugendlichen Leichtsinn.

Gestern hab ich nen Anruf von meinem Berater bei der Commerzbank Bielefeld auf der Mailbox: Es sei eine Abbuchung vom Finanzamt Düsseldorf über diverse tausend Euro gekommen, und mein Konto weise die dafür nötige Deckung nicht auf. Kein Wunder; is nämlich auch nich so viel Geld drauf. "Mja", sag ich zu ihm, als ich ihn zurückrufe, "lassen Sie das bitte erst mal so stehen; ich sprech mal mit meinem Steuerberater."

Ich blieb zwar bei diesem Anruf total ruhig, aber ich hätte mir genauso gut vor Schreck die Hose vollpissen können. Denn von "vielleicht" einem Drittel dieser Summe war die Rede gewesen, als ich vor etwa einem Monat mit meinem Steuerberater zusammengesessen hatte, um den aktuellen Stand zu besprechen. Ich meine auch, immer wieder gesagt zu haben, dass ich wissen müsste, wie viel Geld ich aufm Konto haben müsste, damit ich nicht in ein Steuerloch falle. Ständig hatte er mich beschwichtigt, das sei ja alles nicht so wild, ich sei ja noch in den Anfangsjahren meiner Rechtsanwaltstätigkeit; da könnte man viel mit Abschreibung und Anschaffung von Wirtschaftsgütern arbeiten. Da klingelten jedenfalls viele lustige Buzzwords, und ich dachte mir, das sei dann schon alles in Ordnung, er würde schon was sagen, wenn ich was zurücklegen muss. War ja Freund von nem Freund, raffse? Statt das Geld zusammen zu halten, was das einzig Richtige gewesen wäre, habe ich ganz im Gegenteil gegen Ende des Jahres wegen der zum Jahreswechsel anstehenden Senkung der Obergrenze für den Preis geringwertiger Wirtschaftsgüter von 410 auf 150 € noch munter drauflos gekauft. Hier ein Navigationsgerät für 400 Tacken, da ne externe Festplatte für 140, hier noch was, da noch was. Spart ja Steuern.

Und dann die spaßige Nachricht meiner Bank auf der Mailbox.

Jetzt ist also mein Konto dick im Minus, und ich hab meinen Steuerberater dann mal angerufen. Aber nix da von Einsicht. "Du hattest doch den Einkommensteuerbescheid für 2006 gesehen", kam da. Sicher hatte ich den gesehen, aber wann das Geld aufm Konto sein musste, wusste ich nicht. Woher sollte ich denn wissen, dass das Geld erst Ende Januar 2008 abgebucht wird, wenn die Summe seit Mitte 2007 klar war? Aber er weiter: "Da haben die direkt in einem Abwasch die Einkommensteuer 2006 und die Vorauszahlung für 2007 abgebucht. Das passiert in 90 % der Fälle nicht, aber bei dir haben sie's mal gemacht." Aha. Er erzählte außerdem von allerlei Auf-Null-Setzungen, von in Betracht zu ziehenden Differenzierungen und so weiter, was mir alles nichts sagte, vor allem, weil ich total aufgebracht war. Aber selbst wenn ich nicht aufgeregt gewesen wäre, wäre das Letzte, was ich hören wollte, noch eine Packung Buzzwordbla gewesen. Wenn einen seine Bank nicht mehr tanken lässt, gehört Tacheles geredet und nicht solches Gerede.

Aber auch zuvor hatte ich so manches Mal gedacht, dass in der Kanzlei so Einiges nicht sauber läuft. Neulich hielt ich meinen Steuerbescheid in der Hand, in dem Kirchensteuer ausgewiesen war. Das ist aber bedenklich, weil ich nicht nur schon vor zwölf Jahren aus der Kirche ausgetreten war, sondern das dem Steuerberater auch per Kopie des entsprechenden Bescheides angezeigt hatte. Das Thema war schon einmal über deren Tische gewandert.

Dann hatte ich mit meinem Steuerberater wie gesagt vor einem Monat dieses persönliche Gespräch zur Höhe der Festsetzung der Einkommensteuer für 2007 gehabt, aber meine Sachbearbeiterin wusste davon Anfang dieser Woche -- einen Monat später noch nichts und deshalb auch nicht, dass die Vorauszahlung für 2007 deutlich zu hoch angesetzt war.

Mitte Januar bekam ich außerdem vom Finanzamt eine "Abbuchungsmitteilung" über 15 Euro für "Verspätungszuschlag Umsatzsteuer". Das ist für mich allerdings nicht lustig, weil ich mich seit Längerem nicht mehr selbst um die Umsatzsteuervoranmeldung kümmere, sondern mein Steuerberater das macht. Ich leitete das Schreiben natürlich sofort an meine Sachbearbeiterin weiter, und daraufhin wurde das aufgehoben, und der Betrag soll mir erstattet werden. Man entschuldigte sich bei mir für das Versehen. Natürlich frage ich mich aber trotzdem, was in der Kanzlei überhaupt ordentlich läuft, wenn man nicht einmal eine Umsatzsteuervoranmeldung hinbekommt.

Aber auch ne schöne Geschichte: Man schickte mir meine Buchungsunterlagen immer wieder per Post zurück, aber an die Kanzlei, in der ich hier tätig bin, ohne "persönlich/vertraulich"-Vermerk. So hatten die Damen vorne an unserem Empfang jedes Mal die Gelegenheit, in Frieden zu lesen, was für Kontobewegungen ich hatte. Ich bin völlig schmerzfrei, was Ausgaben für Fickspielzeug angeht, weil das eh meist Namen hat, die denen nichts sagen, oder das eine pauschale Überweisung an Helmut mit irgendeinem doofen Verwendungszweck ist, aber es sickt mich an, dass die Steuerberaterbude nicht auf den Trichter kommt, dass jemand Falsches den Kram in die Hände bekommen kann, wenn der "persönlich/vertraulich"-Vermerk fehlt.

Aber am meisten pisst mich an, dass ich einen Steuerberater bezahle, der vielleicht sogar inhaltlich gute Arbeit macht, mich aber genau da im Stich gelassen hat, wo ich ihn am meisten brauche: wenn es darum geht, auf die zu zahlenden Steuern vorbereitet zu sein. Jetzt bemerke ich, dass ich in den vergangenen zwei Jahren über meine Verhältnisse gelebt habe. Völlig unnötigerweise, denn eine kurze Ansage im Stil von "Sieh zu, dass du ein Zehntel der Einnahmen für Steuern zurücklegst" hätte gereicht, das zu verhindern. Aber sowas kann man wohl schon mal vergessen, wenn man Steuerrecht für Steuerrechtler macht. Und es ist ja nicht so, als hätten die Heinze nicht gewusst, was auf meinem Konto läuft; sie haben alle Kontoauszügen der letzten Jahre gesehen.

So nehme ich jetzt zwangsweise ein Darlehen auf, um meine Steuerschulden bezahlen zu können.

Und das alles ist schon geil, aber der Hammer kommt noch.

Ich sitze also gerade hier und prüfe online, ob die angekündigte Darlehenssumme schon auf meinem Konto ist, weil ich mir gern mal abends eine Kugel Eis kaufen möchte. Im Hörnchen, wo man sich so toll rundherum nach unten zur Spitze futtern kann! Da sehe ich, dass mein Steuerberater ausgerechnet heute auf einen Schlag zwei Monate seiner Leistung auf einen Schlag abgebucht hat. Völlig kommentarlos. Das ist sportliches Timing. So schrieb ich deshalb gerade an meine Sachbearbeiterin per Fax:

"Sehr geehrte Frau R,

wenn es dicke kommt, dann muss es aber direkt richtig sein, nicht wahr? Soeben habe ich gesehen, dass die Beträge Ihrer letzten beiden Rechnungen heute von meinem Konto abgebucht wurden, das seit der gestrigen "unglücklichen" Abbuchung des Finanzamtes Düsseldorf-Nord über knapp [diverse tausend Euro] ohnehin leicht traurig dreinblickt.

Ihre Kanzlei hat ein gutes Händchen für dramatisches Timing.

Ich bin aber vor allem erstaunt, dass meine Bank das mitmacht.

Notiz an mich selbst: Dem Berater bei der Commerzbank Bielefeld gelegentlich eine Kiste Bier vorbeibringen.

Mit freundlichen Grüßen"


Mal sehen, ob sie Humor haben.

Mir ist allerdings der Spaß vergangen. Ich hab denen jetzt das Mandat gekündigt und mache in Zukunft den Steuerscheiß selber. Das nervt und ist Arbeit, aber dann zahle ich nicht auch noch nen Arsch voll Geld dafür, dass ich am Ende als Depp dastehe, der seinen Krempel nicht auf die Kette kriegt. So viel Geld, wie ich im Moment für die Steuerberatung ausgebe, kann ich bei meinem bisschen Geschäft als Rechtsanwalt nämlich gar nicht an Fehlern machen.

Schon komisch, mit welcher Motivation man sich ins Steuerrecht einarbeiten kann.

Freitag, Januar 25, 2008

Das Käffchen zieht immer größere Kreise

Ich muss Pakete immer am nächsten Tag bei der Post abholen, weil ich tagsüber nie zu Hause bin, wenn die Sendungen ankommen. Das nervt tierisch, weil die Post immer noch geöffnet hat wie zu Zeiten Kaiser Wilhelms II (der alten Tunte). Abends bis 18:30 Uhr, morgens ab 9:00 Uhr, also ziemlich gut abgepasst, sodass normal arbeitende Menschen annähernd keine Chance haben, Sendung zu holen und mit Chef ein entspanntes Verhältnis zu haben.

Damit ich mich mit diesem Mist nicht auseinander setzen müsste, meldete ich mich eins beim Packstation-System der Post an und gebe seitdem allen, die mir etwas Größeres als einen Brief schicken wollen, die entsprechende Adresse. Dann geht die Sendung an die Packstation hier um die Ecke, und ich kann den Krempel rund um die Uhr abholen.

Dass man sich anmelden muss, nervte mich zwar, aber es war eine überwindbare Hürde. Schlechter zu handhaben ist allerdings, dass sich kein Mensch seine PIN oder seine Packstation-Kundennummer merkt. Die müssen andere aber bei Paketen für ihn an die Packstation als Teil der Adresse auf die Sendung schreiben. Dieses Problem ist aber bestimmt eiskalt von der Post beabsichtigt; denn das System soll sicherlich gerade zu Anfang noch nicht einschlagen wie eine Bombe. Das würde schließlich zehntausende grimmiger Postmitarbeiter ihren Job kosten. Nicht auszudenken!

Vorgestern landete trotz aller meiner Bemühungen wieder ein roter Zettel mit einer "Wir konnten Ihre Sendung nicht zustellen. Kommen Sie sie ab morgen um 9 Uhr abholen!"-Nachricht in meinem Briefkasten. "Na super", dachte ich, "bestimmt wieder was von meinen Amerika-Freunden." Denen hab ich das mit der Packstation nämlich nie erzählt; bei so einem Quatsch würden die nur mit dem Kopf schütteln.

Weil ich gestern vormittags einen Termin einzuhalten hatte, musste ich mich also beeilen. Kurz vor 9:00 Uhr schon da; ein halbes Dutzend Leute vor mir. Ob das zeitlich noch reichen würde? Hm. Punkt 9:00 Uhr schloss eine sichtlich bestens gelaunte Dame die Tür auf, und los ging's. Die meisten Kunden von mir gaben nur Sendungen ab. Nur noch zwei Leute vor mir, eine junge Dame etwa in meinem Alter und ein Rentner, der sich nicht bewusst zu sein schien, wo er sich anstellen muss. Ich trat schon in der Warteschlange bei der Post etwas unruhig von einem Fuß auf den anderen, dabei nicht allzu guter Dinge, dass sich die zwei mal einigen könnten, wer von ihnen zuerst da gewesen war. Völlig zutreffend quittierte dabei die junge Dame das allerdings eher unbeholfene als rücksichtslose Verhalten des Rentners mit: "Hier geht's ja zu wie anner Aldi-Kasse." Beide konnten allerdings schließlich doch zügig bedient werden. Ich war dran und bekam das Päckchen.

Es war an mich adressiert, aber seine Absenderin kannte ich nicht. Geschickt aus der Nähe von Wolfenbüttel, wo Amalia zur Schule gegangen war. Musste dann wohl eine von Amalias Freundinnen sein. Ich seufzte: "Das ist ja jetzt nicht so geil." Zum Termin kam ich aber noch rechtzeitig.

Ich schrieb Amalia noch ausm Büro eine E-Mail, sagte ihr, sie sollte ihren Freunden doch bitte sagen, sie sollten Päckchen entweder an sie oder an meine Packstation-Adresse schicken; das sei für alle besser. Als ich nach der Arbeit mit dem Auto nach Hause fuhr, rief Amalia mich an und sagte, das Päckchen sei für mich und ich sollte es in ihrem Beisein auspacken.

Das tat ich dann auch. So sah der Inhalt aus:


Es waren vier Pfund Kaffeebohnen unterschiedlicher Sorten von Heimbs Kaffee aus Braunschweig drin, eine Sortenbeschreibung und eine Karte. Auf der Karte steht:

"Lieber [ich],

ich weiß zwar nicht, ob wir uns schon einmal begegnet sind, aber offenbar bist Du derjenige, der einer lieben Freundin von mir in einer schwierigen Zeit ein guter fürsorglicher Freund war, sodass ich Dir heute ein kleines Geschenk machen möchte. Ich wünsche Euch viele gemütliche Kaffeestunden und hoffe, dass etwas für Deinen Geschmack dabei ist.

Liebe Grüße auch an [Spitzname von Amalia]

Steffi"

Erst die Starbucks-Tasse aus Sapporo (Japan) und jetzt das!

Ein wohlig-warmes Gefühl umgab mich. Es gab tatsächlich noch jemanden außer Amalia und mir, der meine Liebe zum Kaffee verstand! Mein Mund und meine Augen müssen stundenlang offen stehen geblieben sein. Amalia hat glaube ich das Funkeln von Gier und Begeisterung in meinen Augen etwas Angst gemacht.

Steffi: Komm du mir mal hierher! Dann lernst du mich kennen! :)

Mittwoch, Januar 23, 2008

Blasen

"Blasen" fand ich schon vor einigen Jahren lustig. Also das Wort, nicht die Tätigkeit. Ich kann's wohl (und auch das will gelernt sein), aber weder fange ich an zu lachen, wenn jemand gerade bläst, noch fange ich an zu blasen, wenn jemand einen Witz erzählt. Keine Verbindung, nada. Das Wort ist lustig. Es ist nicht ganz eindeutig, aber vermutlich denkt jeder sofort an Oralverkehr. Man lässt also das Gehirn den Rest machen und kann sich hinterher rausreden, so hätte man's ja gar nicht gemeint.

"Blasen" sagte ich auch schon früher gern, wenn ich eigentlich nichts zu sagen hatte, aber deutlich machen wollte, dass mir etwas grenzenlos egal war. Und vor allem während meiner Zeit in der Inzuchtstätte Marburg ging mir so Einiges ziemlich vorbei, vor allem, wenn ich Hausarbeiten im Strafrecht schrieb. Wir hatten damals einen ziemlich durchen Professor, der in der Kantine mit der Wand sprach und auch sonst ziemlich einen an der Pfanne hatte. Aber Strafrecht war mir vom zweiten Semester an sehr zuwider, und das liegt nicht mal an Barbara Salesch.

Jedenfalls entwickelte ich damals etwas, das mir kleine vergnügliche Pausen beim Hausarbeitschreiben bescherte. Ich hatte oft keine Lust, mich zu den ganzen Tussis für belanglosen Datenabgleich in den Pausenraum zu setzen, wo ohnehin regelmäßig die stadtbekannten Geisteskranken saßen und Leute anpöbelten und um Geld anschnorrten.

Statt dessen setzte ich mich irgendwann mal aus Langeweile vor einen der Bibliotheksrechner, auf denen damals noch DOS lief und die auf grobschlächtigen blauen Bildschirmhintergründen Recherche nach Literatur ermöglichten. Ich tippte gedankenverloren und von der Hausarbeit genervt "blasen" als Suchbegriff ein. Als Ergebnis erschien ein Werk mit folgendem Titel:

"Die Blasen-Scheiden-Fistel sowie die Incontinentia Urinae"

Ich unterdrückte mit aller Kraft das hochsteigende Gelächter, um die arbeitenden Studenten nicht zu stören. Was für ein großartiger Titel! Sicherlich ein Werk voller ekelhaften Bildmaterials und völlig sachlichen Texten dazu! Kein Wunder, dass Mediziner einen total derben Humor haben, wenn sie solche Sachen lesen müssen.

Aber ich wollte den Spaß nicht für mich allein haben. Die ganze Bibliothek sollte sich daran erfreuen können! So verließ ich den Platz einfach, damit der nächste Benutzer auf das Werk hingewiesen würde.

Fortan kam ich in unregelmäßigen Abständen zu einem dieser Rechner, suchte immer wieder dieses Werk, grinste breit und verließ den Platz dann. Auf dass alle von der Blasen-Scheiden-Fistel erführen! Leider habe ich nie so viel Energie hineingesteckt, mich in die Nähe des Rechners zu setzen, um zu sehen, wie der nächste Benutzer reagierte.

Freitag, Januar 18, 2008

Stöckchen: Jahresrückblick 2007 in aller Kürze

Es gab ja schon meinen ausführlichen Jahresrückblick, aber weil ich auf dem Blog von Conny das Ding hier gesehen habe, hab ich es schamlos kopiert.

Los geht's!

Vorherrschendes Gefühl für 2008?
"Es muss in diesem Jahr was gehen. Genauer: Es muss richtig was gehen!"

2007 zum ersten Mal getan?
- In einer WG gewohnt.
- Auf Gras gefickt worden.

2007 nach langer Zeit wieder getan?
Tim und Gary in Texas besucht.

2007 leider gar nicht getan?
Musik gemacht (wie 2006 auch schon nicht).

Wort des Jahres?
Käffchen.

Zugenommen oder abgenommen?
Zu. Fett und Muskeln, glaub ich. Es reicht langsam. Ich will wieder abnehmen.

Stadt des Jahres?
Palm Springs. Wegen Terry, den ich heiraten möchte. Nachdem ich ihn einen Tag erlebt habe.

Ach nein, zu sexuell. Dann wohl München. Toll da, Leute viel internationaler, als ich gedacht hatte, Freunde getroffen, Stadt lieben gelernt.

Alkoholexzesse?
Ja, bei der Party von Andy und Katja in Düsseldorf in der Nacht von Freitag auf Samstag irgendwann im Juni. Am Samstagmorgen hatte ich das nächste Treffen aufm Plan: ein Brunch zum 40. eines Bekannten. Ich ging also am Freitagabend zu Andys und Katjas Party und dachte, ich trink halt ein paar Bier und geh gegen Mitternacht nach Hause. Gott sei mein Zeuge; ich weiß nicht mehr, wie das kam, aber um halb sieben werde ich am nächsten Morgen auf deren Couch wach, weil ein anderer der Jungs dort noch tanzte und brüllte. Er schrie mich noch an: "ÄÄÄÖÖÖ KOMM WEITERSAUFÖÖÖN!". Mein Kopf hatte die Größe eines Kontinentes nach Wahl des Lesers, und ich erschrak sehr, als ich auf die Uhr schaute. Noch drei Stunden; dann müsste ich bei Freunden auf der Matte stehen, um zum Brunch zu gehen. Ich schnappte meine Sachen und nahm ein Taxi nach Hause. Als der Wecker mich dann pünktlich weckte, duschte ich trotz hämmernder Kopfschmerzen, kotzte ein paar Male, lag dann wegen der Größe der Zimmer im Bad und Flur gleichzeitig und sagte unter Höllenqualen telefonisch das Brunch ab. Die ganzen Tunten waren furchtbar angepisst und auch im Nachhinein noch sauer, aber ich konnte an diesem Morgen nichts tun als Daliegen und Atmen.

Davon gekotzt?
Mit Anlauf.

Haare länger oder kürzer?
Wie immer, aber cooler bin ich jetzt. Aber ich glaube, das hat mit den Haaren nichts zu tun.

Kurzssichtiger oder weitsichtiger?
Mir ist das erste Mal anschaulich gemacht worden, dass ich kurzsichtig bin. Das ist mir aber egal; sobald es ohne Brille nicht mehr geht, geh ich zum Augenarzt. Ich find nämlich Männer mit Brille geil.

Mehr ausgegeben oder weniger?
Wer gibt denn je weniger aus?!? Ich hab in 2007 vor allem für Reisen und meine Geburtstagsparty gut Geld rausgekloppt. War aber auch alles saugeil; würd ich wieder machen.

Höchste Handyrechnung?
Weiß ich nicht so genau, aber ich glaub irgendwas um 120 Euro. Das war glaub ich während meiner USA-Reise.

Krankenhausbesuche?
Ja, die Scheiße! Ich war Anfang 2007 mal um die Karnevalszeit ambulant da, weil ich derbstens erkältet war. Der koreanische Arzt da war cool, erzählte was davon, wie doof er Deutschland jetzt fänd. Er war aber schon urlange hier und klang wie ein deutscher Opa.

Ich glaub auch, der hat mir Scheiße verschrieben. Aber ich lebe ja noch.

Verliebt?
Scheiße, ja klar! Den Reinhold aus München fand ich oberspitze. Für den wäre ich locker nach München gezogen. Dummerweise hatte der schon eine Beziehung. Aber sowas Geiles und Einfühlsames hab ich lang nicht erlebt. Reinhold ist große Klasse.

Getränk des Jahres?
Käffchen und Campari Orange.

Essen des Jahres?
Schwer zu sagen. Ein Kandidat ist das marinierte Schweinefleisch mit den hausgemachten Nudeln in der "Konkubine" am Düsseldorfer Hauptbahnhof. Ein anderer auch sehr guter ist das Silvestermenü in Wien im "Entler", zu dem mich Roman eingeladen hat. Da war jeder der sechs Gänge eine Offenbarung; einfach toll! Oder eins der vielen extrem geilen Gerichte, die Amalia zusammenkloppt und mir serviert, wenn ich nach einem anstrengenden Tag nach Hause gekommen bin. Überhaupt sollten Amalia und ich in die Gastronomie gehen. Sie kocht, ich mach Käffchen. Wir würden Gastfreundschaft neu definieren.

Meist (an)gerufene Person?
Fragt doch Schäuble. Der speichert doch meine ganzen Daten, der Penner.

Die schönste Zeit verbracht mit?
Terry, Tim und Gary. Und zu Hause mit Amalia, aber das ist so "normal", dass man das nicht schreiben kann, oder? Hupps, zu spät. Na jedenfalls ist Amalia so eine geile Mitbewohnerin, dass wir schon viele Pärchen neidisch gemacht haben.

Die meiste Zeit verbracht mit?
Lassen wir die geschätzten Kollegen mal weg. Dann wohl mit Amalia. Zu Recht. War nemmich super.

Song des Jahres?
Kann ich echt nicht sagen. Mein Musikrückblick zeigte ja, dass ich diverse Lieder sehr geil fand.

CD des Jahres?
Amalia ist eingezogen und hat diese Mary J. Blige-CD mitgebracht. Alter, ham wir die viel gehört.

Buch des Jahres?
Ich vergesse Bücher immer so schnell, wenn ich sie gelesen habe. Ich vergesse nicht den Inhalt, aber ich könnte nicht mal sagen, was ich alles gelesen habe.

Film des Jahres?
Ich weiß nicht mehr. Ist wie bei Büchern. Aber ich geh auch ungern ins Kino, weil ich immer Angst habe, dass der Film meine Zeit verschwendet. Ich erinnere mich jedenfalls nicht an was Weltbewegendes.

Konzert des Jahres?
Ich war auf keinem, nur mal in so nem Avantgarde-Ballett in München in der Staatsoper und bei Cirque du Soleil, als die Anfang des Jahres in Neuss waren. Sehr unterschiedliche, aber beides sehr coole Vorstellungen.

TV-Serie des Jahres?
Heroes, die geile Scheiße.

Erkenntnis des Jahres?
Eine Einzimmerwohnung mit 35 qm reicht für zwei Personen völlig aus. Und dass ich mich beruflich verändern willsollmuss.

Drei Dinge, auf die ich gut hätte verzichten können?
Ich überlege jetzt schon recht lang an der Frage herum. Irgendwie war in 2007 nichts, das ich bereue. Die Trennung von Uwe ist ja schon schlimmstes Ereignis; da brauch ich sie hier nicht mehr aufzuführen. Auf die ganzen Erkältungen im ersten Halbjahr hätte ich hervorragend verzichten können, den Brechdurchfall brauchte niemand, und ich hatte ein paar völlig überflüssige Gayromeo-Dates, aber sonst war das alles schon irgendwie okay.

Nachbar des Jahres?
Das Arschlochkind der Nachbarn. Das ist jetzt über zwei Jahre alt und terrorisiert Amalia und mich mit seinem Geschrei die ganze Zeit. Erst hatte ich die Eltern im Verdacht, aber das Kind ist einfach ein Arschloch. Das sag ich ihm auch mal, wenn es alt genug ist.

Beste Idee/Entscheidung des Jahres?
Ach ich weiß nicht. Zum Urlaub in die USA zu fliegen? Amalia als Mitbewohnerin einzuladen? Bei Meinl Kaffee zu kaufen?

Schlimmstes Ereignis?
Von Uwe die Trennung auf den Tisch gelegt zu bekommen, (mal wieder) völlig überraschend. Ich bin einfach zu gutgläubig, aber das behalte ich auch bei; sonst kann ich nämlich nie wieder jemanden lieben.

Schönstes Ereignis?
Terry.

2007 war mit einem Wort?
Treibsand.

An wen reichst du das Stöckchen weiter?
Wirft man Stöckchen nicht? Ach, ich weiß auch nicht. Sag doch mal einer von euch, wenn er weitermachen will! Ihr schreibt mir eh viel zu wenige Kommentare. Ich weiß doch, dass ihr mitlest; dann schreibt auch mal was!

Sonntag, Januar 06, 2008

Parship ist schwul

Viele Sachen auf der Welt sind Mist. Zum Beispiel -- ganz große Kacke -- das infantile Schwulengedisse im Hiphopsektor. Da hat die Münchner Hiphopgruppe "Blumentopf" völlig R echt.

Aber Riesenmist ist vor allem auch das schwule Parship-Partnersucheportal. Ja, Parship hat sich irgendwann -- vielleicht wegen des überwältigen Erfolges bei den Heteros -- gedacht: "Ey, was für ne geile Scheiße! Wir ziehen einfach die Plattform auf links und bieten unseren Krempel auch Tunten und FrauenLesbenMädchen (Ausdruck aus Marburger Studentenblättern) an."

Vor etwa einem halben Jahr sah ich auf dem Weg zum Büro wieder einmal ein großes Werbeplakat von Parship und hatte schon gehört, dass es das Ding auch für Schwule gibt. Ständig liest man, wie doof alle möglichen Leute die gängigen Plattformen (vor allem Gayromeo und Gayroyal) finden, weil ja alles ach so unecht ist. Da dachte ich mir, ich könnte mir Parship ja mal ansehen.

Das tat ich dann, richtete mir ein Profil ein und arbeitete dafür die ganzen Fragebögen durch. Sehr schnell wurde dann klar, dass man damit eigentlich nichts anfangen kann, wenn man kein Geld dafür zahlt. Ich entschied mich also schweren Herzens dazu, für drei Monate 90 Euro auf den Tisch zu legen. Kreditkarten sollten eine Art Inhaltsschutz für Mist haben, sodass man damit keine Kacke kaufen kann.

Es ist gar nicht nötig, Details dazu zu nennen, wen ich da kennenlernte, warum, wann und wie. Denn ich habe nicht einen einzigen Mann dort auch nur virtuell gesehen, der mich ansatzweise interessiert hat. Alles ganz schreckliche Gesichter, die einander gern toll finden können. Für mich: Fehlanzeige auf der ganzen Linie. Dazu kommt aber auch noch, dass man bei Parship anderen bestimmten Usern erst seine Bilder freigeben muss, damit sie einen sehen können.
Ganz schlechte Idee. Bei Heten mag das ja alles noch gut ankommen. Man ist ja tolerant, und die inneren Werte zählen (bla).

Was für ein behämmerte Idee das ist, Fotos nicht sofort zu zeigen. Da quatscht man erst groß hin und her, macht pseudolustige "Spaß-Matches", wo vermeintlich wichtige Übereinstimmung geprüft werden sollen. Furchtbar komisch.

Aber selbst wenn man diesem ganzen System etwas abgewinnt, hilft das nicht über die Tatsache hinweg, dass Äußerlichkeiten wichtig sind. Keiner fickt mit nem Eimer; da kann man mir erzählen, was man will.

Der Einzige, der nicht übel aussah (aber für mich nicht der Bringer), war ein Lehrer aus der Nähe der Schweizer Grenze. Mit dem telefonierte ich eines Abends mal, und Amalia hörte mit. Sie kann bezeugen, dass der Typ tierisch aus der Nase geblutet hat.

Als die drei Monate rum waren, war ich dankbar, dass ich mit gutem Gewissen mein Profil löschen konnte und dann die regelmäßigen E-Mails mit den Berichten über angebliche Traumpartner nicht mehr bekam.

Die klassischen Foren sind deutlich besser und billiger, und da habe ich schon zweimal einen Partner und diverse Freunde kennen gelernt. Jeder, der behauptet, das wäre alles doof, ist die Ursache, dass da auch Idioten rumlaufen.

Und Parship ist Riesenrotze und arschteuer.

Donnerstag, Januar 03, 2008

Das große Städterennen 2008

2007 habe ich Amalia um Längen geschlagen, was unseren Städebesuchenwettbewerb angeht. Fertig gemacht hab ich sie, überrundet, gedemütigt, geradezu in Fetzen gerissen und in ihrem Saft liegen lassen. Der Fairness halber, die ich in dieser Sache allerdings schon lang abgelegt habe, muss man aber auch dazu sagen, dass es kein einfaches Jahr für sie war. Examensstress, dann die Phase der Arbeitslosigkeit, die die Reisemöglichkeiten stark einschränkt, und dann muss sie schließlich auch regelmäßig unser Klo putzen. Da reist es sich schwer in unbekannte Städte. Aber wie ich immer sage: Willst du die Welt sehen, drück deinen Mitmenschen die Ellenbogen ins Gesicht. Dann gucken sie besonders dämlich drein.

Meine Bilanz für 2007:
- Zürich (die Regel war damals noch: mindestens 100.000 Einwohner)
- Wien
- Houston
- Oklahoma City
- Amsterdam
- Bonn

Knapp daneben, aber auch vorbei:
- Montbéliard
- Winterthur
- Palm Springs
- Ergoldsbach (Bayern; okay, das ist wirklich weit vorbei)

Amalias Bilanz für 2007 lassen wir der Fairness halber weg.

2008 wird aber wohl kein so leichtes Spiel für mich sein. Sie ist jetzt in Lohn und Brot, bezieht bald ihre eigene Wohnung (kann dann zwei Klos putzen), und mir ist bewusst, dass sie selbstsüchtig und berechnend meine Kontakte nutzt, um weitere neue Städte zu sehen. Diese Waffe weiß ich auch einzusetzen, aber es wird am Ende ein Kopf-an-Kopf-Rennen werden.

Gestern Abend, an unserem ersten gemeinsamen Abend in diesem Jahr, fand die große Kriegsbesprechung statt. Die Regeln wurden neu festgelegt.

Für das Städterennen 2008 gilt:

- Als Stadt gilt nur ein Ort mit mindestens 500.000 Einwohnern.
- Die Hauptstädte von Zwergstaaten wie Marokko oder Costa Rica gelten auch als Stadt.
- Popelinseln wie Usedom (hat 76.500 Einwohner!) gelten auch als Stadt. Diese Regel habe ich nur unter einem abkanzelnden Stöhner akzeptiert.
- Kurzbesuche (z. B. für den Besuch eines Musicals) gelten nicht als Besuch.


Amalias Peilung für 2008:
- Amsterdam (sie nutzt hier meine Kontakte aus)
- Costa Rica (Überraschung; wofür sonst haben wir wohl die Ausnahmeregel)
- "Spanien" (wo auch immer diese Katha wohnt; die wohnt mit ihrem Mann wahrscheinlich nicht in einer Stadt nach unserer Definition, ha!)
- Usedom (was für eine Überraschung, wo sie auf der Regel bestanden hat)

Meine Peilung für 2008:
- London (ich lerne dafür einen ihrer Freunde kennen)
- Hamburg
- Madrid
- Barcelona
- Singapur
- Sydney
- Melborne
- Stockholm

Diese letzte Liste liest sich großartig, oder? Besonders die wirklich weit entfernten Städe klingen nach Haushochsieg. Damit ist das Rennen am Ende wohl doch nicht so knapp. Aber ich kenne Amalia, weiß, wozu sie fähig ist. Ich lehne mich nicht zurück, sondern werde die Liste noch erweitern, schon um sie zu entmutigen. Nirgendwo steht, dass Bluffen verboten ist.

Sie will übrigens nicht mit nach London, weil sie London schon kennt. Das wäre dann ein Punkt für mich und vergeudetes Geld und vertane Zeit für sie. Sie müsste dann meinem immer näher rückenden Sieg ins Auge blicken. Das verkraftet sie nicht. Soll sie halt woanders hingehen. Wer so abgeschlagen ist, darf ruhig eingeschnappt sein.

Und sie hat schon angedroht, aus dem Rennen auszusteigen, wenn ich die Reise nach Australien über Singapur dieses oder nächstes Jahr tatsächlich in Angriff nehme. Das ist natürlich nur ein tölpelhafter Versuch, meinen Sieg zu schmälern. Ich werde bei der Buchung der Flüge berücksichtigen, dass ich auf dem Rückweg eine andere Stadt mit zwei drei Tagen Aufenthalt nehme. Bangkok oder Dubai (1.171.000 Einwohner) oder so. Dann wird sie grün vor Wut.

Let the games begin.

Mittwoch, Januar 02, 2008

Silvester in Wien

Es ist vollbracht: Silvester in Wien!

Wegen Amalias Bestürztheit, dass ich von Roman aus München das Angebot bekommen hatte, Silvester mit und bei ihm in Wien zu verbringen, sagte ich zu und buchte einen Flug über billigerflieger.de für unter 100 Euro. Erst später fand ich heraus, dass ich mir die 10 Euro Gebühr an ebookers auch hätte sparen können, wenn ich einfach selbst bei Austrian Airlines gebucht hätte. Gut, nächstes Mal dann.


Samstag, 29.12.


Ich flog also vormittags nach Wien. Flug unspektakulär, Wetter in Wien (übrigens die ganze Zeit) doof. Wolkig und vor allem zu Anfang arschkalt. Roman holte mich mit seinem Afghanenhund Tibor am Flughafen ab. Ein Heliumballon mit der Aufschrift "Welcome" war an Tibors Halsband befestigt, sehr süß.

Wir fuhren zum Naschmarkt, um uns dort erst das Elend auf dem Flohmarkt und dann den eigentlichen Markt anzusehen. Wen und was man auf diesem erstgenannten Flohmarkt sieht, lässt sich kaum in Worte fassen. Nicht genug damit, dass dort unendlich viel Nippes und Gerümpel verkauft wird, das ich nicht einmal mit bloßen Händen anfassen würde, sondern besonders traurig sind die Gestalten, die in der Kälte um ihre Haufen von lieblos zusammengeworfenem Plunder herumstehen und einem Zeug andrehen wollen. So viel Ostblock und (augenscheinliche) Armut sehe ich sonst sehr selten. Aber ich frage mich auch, wer zum Geier diese Berge von uraltem und wenig pfleglich behandelten Elektroschrott, fast bis zur Unkenntlichkeit zerlatschte Klamotten oder sterbenshässliche Einrichtungsgegenstände auch nur geschenkt haben wollte, geschweige denn Geld dafür zahlt.

Es herrschte eine furchtbare feuchte Kälte, die in jede Ritze fuhr, die die Kleidung ihr ließ. Meine sonst wenig empfindlichen Beine meldeten Eisalarm.

Wir gingen weiter zum Naschmarkt, auf dem Delikatessen in einer noch nie erlebten Schönheit und Vielfalt hergerichtet waren. Nussspezialitäten, Halloumi und andere Käsesorten, schon von weitem furchtbar lecker aussehendes Brot in den wildesten Sorten, Kaffee und Tee bis unter die Hutkrempe, Süßigkeiten in nie für möglich gehaltenen Formen und Farben, in der Kälte dampfende Frischspeisen, Suppen, Dönerspieße und und und. Ich schämte mich etwas für die Düsseldorfer Carlsplatz-Markt, der sich ansonsten kaum verstecken muss.

Zu Mittag aßen wir in einem japanischen Imbissrestaurant. Ich nahm eine große Schale Currysuppe mit Reisnudeln. Am Nebentisch versuchte ein in den Niederlanden wohnender Indonesier gerade, eine Nordamerikanerin aufzugabeln, die er gerade getroffen hatte. Zu seinem Leidwesen verabschiedete sie sich nach dem gemeinsamen Essen. Aber sie war auch nicht so der Kracher.

Wir hielten als nächstes im Café Savoy, einem Schwulenetablissement, das weniger durch den allseits in Wien hoch angepriesenen Kaffee herausstach, sondern vor allem durch seine überladenen Goldornamente, riesigen Spiegel und die etwas puffige Atmosphäre. Der Kaffee war nämlich sehr mittelmäßig, allerdings immer noch recht gut im Vergleich zu der Suppe, die es bei uns im Büro gibt. Wir blieben an der Theke stehen, weil auch hier alles knallvoll war. Neben uns ein Zeitung lesender Typ auf einem Hocker. Irgendwann war der Hocker frei, und es lagen keine persönlichen Dinge mehr dort, sodass ich annahm, er sei gegangen, setzte ich mich auf den freien Hocker, als er mir auf die Schulter klopfte. Er war nur gegangen, um eine Zeitung zu holen. Ähä, peinlich.

Bevor wir gingen, flakte ich jedenfalls noch kraftvoll einen Fladen Dünnes in die Sitzkeramik. Den Durchfall hatte ich wahrscheinlich von der Suppe bekommen. Ich hoffte (zutreffend), dass der Durchfall damit ausgestanden war und ich nicht krank wurde.

Roman nahm mich anschließend mit auf einen Blitzausflug Wiener Innenstadt. In der Eiseskälte liefen wir warm eingepackt an allerlei wunderschön beleuchteten Gebäuden vorbei, und er erzählte mir von ihnen, ihrer Funktion, ihrer Geschichte und gab allerlei Zusatzinformationen, aber ich habe das meiste davon wieder vergessen, weil ich keine Karte von Wien im Kopf hatte, auf der ich die Informationen hätte vermerken können. Meine Bemühungen, einen Stadtplan zu bekommen, fruchteten auch wenig, sodass der düstere Nachmittag (es wurde schon dunkel, als wir losgingen) eine Aneinanderreihung von Beleuchtungs- und Architekturkunstbeispielen war.

Der für mich bedeutendste Stopp des Tages war ein Besuch bei dem Kaffee- und Feinkostladen Julius Meinl. Der Laden sah aus wie das Wunschkind von Nespresso und der Metro: Ein sehr stilvoll eingerichtetes Geschäft voller Käffchen, Tee, Biskuits, Kekse, Süßkram, Lutschpastillen, Brot, Pasteten und und und. Ich war augenblicklich im Himmel und blind vor Gier nach Kaffeebohnen. Ich griff mir ein Pfund "Espresso Spezial" aus dem Regal, nachdem ich eine (gefühlte) halbe Stunde angestanden hatte, und zahlte. 15 Euro. Stolz, aber verhältnismäßig billig im Vergleich mit Nespresso. Und der Kaffee duftete schon durch die Packung hervorragend. Da würde Amalia Augen machen, wenn der Kaffee auf ihren Geschmacksnerven Samba tanzt.

An der Kasse unterhielten wir uns mit einer feinen Dame, die Tibor bewunderte. Also sie ihn, nicht er sie. Sie war sehr nett, und da ich vom Kaffee noch total deliriös war, sagte ich, ein kleiner Hund hätte ja durchaus auch seine Vorzüge. Roman fügte hinzu: "Besonders bei einsamen Damen." Sie guckte etwas überrascht drein, aber da sie vorher schon gesagt hatte, dass sie nicht auf kleine Hunde steht, war die Gefahr gebannt, dass sie dachte, wir spielten auf sie an. Und von mir aus kann sich ja jeder liebend gern die Möse vom Hund lecken lassen. Tibor hat auch eine sehr lange Zunge, und wer weiß, was die in langen Winternächten mit Roman anstellt.

Wir wühlten uns übrigens nicht nur bei Meinl, sonden in der ganzen Stadt durch Menschenmassen. Es war zum Abkotzen. Wien mit seinen rund 1.670.000 Einwohnern beheimatete in diesen Tagen nach Angaben der Radiosender rund 600.000 Besucher, die meisten davon Japaner und Italiener, wie es schien. Egal, wo wir waren, wir warteten, ü-ber-all. An jedem Kaffeehaus standen Schlangen von Verrückten in der Kälte und warteten auf Einlass, sodass wir schlussendlich zu Starbucks gingen, was Roman erst grundsätzlich ablehnte, ich aber großartig fand. Und auch er musste zugeben, dass es gemütlich und der Kaffee lecker war. Ich glaube, er fand aber vor allem den Glatzkopf geil, der mit einer Frau auch in der Runde saß und dessen ohne Schuhe auf dem Sessel ruhende Füße Roman geil fand. Ganz sicher bin ich mir da aber nicht. Wir unterhielten uns jedenfalls gut mit ihm und seiner Begleitung.

Alle lieben Tibor, alle. Von großen Männern bis zu kleinen Kindern, die ja sonst gern mal schreckhaft sind, vor allem bei einem so großen Hund. Tibor hat meiner Erinnerung nach in den ganzen Tagen, in denen ich bei Roman war, kein einziges Mal gebellt, und man sieht und hört ihn nie. Mit einer unbeschreiblichen Gemütsruhe lief er mit, wohin wir auch gingen, legte sich bereitwillig unter den Tisch oder in die Ecke, und nur selten, wenn eine Hündin in der Nähe war oder er spielen wollte, fiepte er fast unhörbar. Selbst in den Menschenmassen am Graben oder in anderen Einkaufsstraßen, die in diesen Tagen mit Menschen förmlich vollgestopft waren, lief er kommentarlos bei Fuß und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Ganz im Gegensatz zu so manchem Typen, an dessen herunterhängender Hand Tibor mit seiner Schnauze entlangfuhr, der dann seine Hand erschrocken wegzog.
Ich liebte diesen Hund, und er begann am dritten Tag, an mir hochzuspringen, wenn ich in Romans Wohnung kam. Wir wollen bald heiraten.

Der Dialekt der Wiener ist übrigens putzig. Ich kann ihn noch nicht so einfach nachplappern, weil mir die Lautverschiebungen so fremd vorkommen, aber ein paar kurze Sätze bekomm ich schon hin.

Nach diesem Rundgang durch die Wiener Innenstadt fuhren wir in Romans Range Rover zu ihm nach Hause, und in meiner Erinnerung versank ich sofort in der unfassbar bequemen Couch in seinem Wohnzimmer. Er hatte sie vor vielen Jahren beim Museum of Modern Art in Manhattan gekauft; sie muss damals ein Scheißgeld gekostet haben. Eine recht niedrige beige Eckcouch mit angedeuteten Sitzaushöhlungen, aus der man schlecht aufstehen, in der man aber unbeschreiblich bequem sitzen und liegen konnte. Nach dem langen Tag in der Kälte versank ich in dieser Couch und konnte mich später nur schwer aufraffen, noch die paar Schritte ins Bett hinter mich zu bringen.


Sonntag, 30.12.

Wir schliefen bis ca. 9 Uhr, unvertretbar lang für meine Verhältnisse. Normalerweise bin ich, wenn ich ausschlafen kann, eine Stunde nach Standardweckzeit wach. Das ist bei mir 7:45 Uhr, und meine innere Uhr geht ziemlich genau.

Vor einer Weile hatte ich über Gayromeo mit einem Österreicher namens Gernot geredet, der zufälligerweise Demoszener war, allerdings bislang, ohne davon zu wissen. Er beschäftigte sich in seiner Doktorarbeit mit Computergrafik und kannte auch Breakpoint und die ganzen Sachen, war aber nie Teil der Demoszene gewesen. Das galt es zu ändern, dachte ich mir, und es stellte sich heraus, dass er über Silvester auch in Wien sein würde. Wir hatten also Telefonnummern getauscht und verabredet, wir würden uns mal treffen.

Da dieses Treffen am Samstag nicht geklappt hatte, luden Roman und ich ihn zum Frühstück ein. Roman hätte mich vermutlich auch Satan persönlich einladen lassen, aber ein wirklich schlechtes Gewissen bekam ich, als Gernot auftauchte, wir uns auf Anhieb super verstanden und auf der Couch Demokrempel bekakelten, während Roman ein großspuriges Frühstück auftischte.

Wir unterhielten uns super bis in den Nachmittag hinein, und als klar war, dass man mich nicht einfach in der Wohnung versauern lassen dürfte, luden wir Gernot und Tibor ins Auto und fuhren zum Spazieren. Gernot und ich spazierten eine Stunde lang mit und begaben uns dann wieder in die Innenstadt, während Roman zwei weitere Stunden mit Tibor spazieren ging. Geplant war eigentlich, dass wir uns dann in Ruhe hinsetzen und über Computerkrempel quatschen könnten, ohne damit Roman auf die Nerven zu gehen, aber dazu kam es nicht. Gernot wird behaupten, es war meine Schuld, aber in Wahrheit hat er alles verbockt. Als ich ihm nämlich in der Straßenbahn sagte, ich könnte in absehbarer Zeit mal wieder was essen, meinte er, viel zu früh an einem Flakturm aussteigen und den Rest der Strecke laufen zu müssen, in der Dreckskälte bei leichtem Schneefall. Und als wäre das noch nicht schlimm genug, wollte er mich in eine düstere, kleine, fast leere Pizzeria zerren, als spielte ich beim Hören von Laith Al-Deen nicht sowieso hin und wieder mit dem Gedanken mich umzubringen.

Diese Österreicher, ehrlich. :)

Ich bot allerlei Kulinarisches an, und Gernot ließ sich zu guter Letzt von meinen steten Bitten nach einer Bratwurst erweichen. Es war gar nicht so leicht, einen offenen Stand zu finden. Wir gingen schlussendlich am Schwedenplatz zu einer Bude, die wohl auch von irgendeiner Ostblockminderheit betrieben wurde. Immer witzig, wenn die dann Lokaldialekt sprechen. Dort empfahl mir Gernot einen Käsekrainer, und als Tourist folgte seiner Empfehlung. Er selbst entschied sich für einen Käsleberkäs. Glaube ich jedenfalls. Ich kann mir nie merken, ob das Ding so hieß oder "Leberkäsleber". Ich hab vergessen, wie das Wort losgeht. Dabei ist es einfach Leberkäse, in den man zusätzlich Käse gepackt hat. Käsleberkäs halt.

Besonders geil fand ich am Käsekrainer, den ich als "Hotdog" nahm, dass man als Brötchen nicht einfach ein zu weiches Baguettebrötchen genommen und das aufgeschnitten hatte. Nein nein, das Ding hatte eine Höhle für die Wurst, die man mit einer Art Brötchendildo reingelötet hatte. Ich nahm das Gerät mit Senf, und der Typ spritzte ordentlich davon rein und ließ den Käsekrainer dann einfach hineingleiten. Ich war begeistert: keine versauten Hände mehr, einfach reinbeißen und gut.

Ich bestaunte die Brötchen-Wurst-Kombination also eine Weile, biss dann in den Käsekrainer und erlangte augenblicklich die Erleuchtung. Meine Zähne durchbrachen den widerspenstigen Mantel aus Kunstdarm, und Wurst und Käsestückchen wurden wahllos auf meine Geschmacksnerven geschossen, platzten beim Aufprall und tapezierten meinen Mund mit Geil. Der Geschmack von heißem Käse rundete das würzige Fleisch zu einem vollkommenen Erlebnis ab. Die Palmen säumten den weißen feinen Sandstrand und bogen sich leicht im lauen Karibikwind hin und her. Das kristallklare hellblaue Wasser schwappte hauchzart auf den Sand und zog sich vorsichtig wieder zurück. Freundliche Bratwürste mit Baströckchen tanzten ausgelassen zwischen den Sanddünen. Ich musste gestorben und im Himmel angelangt sein.

Als ich das Bewusstsein zurückerlangt hatte, spazierten wir weiter in Richtung Stephansdom, und als wir endlich im Café Prückel ankamen, wohin wir von Anfang an wollten, weil's dort kostenlos WLAN gibt, war Roman schon dort, sichtlich überrascht, dass wir so lang gebraucht hatten. Lang?!? Ich hätte schwören können, zwei Wochen in der Karibik Urlaub gemacht zu haben! Jedenfalls blieben nicht lang im Café, weil mal wieder kein Platz frei war. Selbst in diesem riesigen Café war kein freier Tisch zu bekommen, und in Wien ziemt es sich wohl nicht, sich zu Leuten an den Tisch zu setzen, auch wenn Platz ist. Eine Unart, wie ich meine, aber wenn es die Wiener Kaffeehauskultur so gebietet, beuge ich mich dem Edikt.

Zusammen liefen wir also woanders hin zum Käffchentrinken, und zwar zum Café Heiner, um dort Romans Großcousine Michaela zu treffen, die er als Nichte bezeichnet, was sie aber nicht ist. Aber "Nichte" sagt sich leichter als "Großcousine", und am Schluss ist auch völlig wurscht, wie die rechtliche Beziehung zueinander ist. Michaela kam mit ihrem Mann Jürgen und einem Freund Andreas im Gepäck, und später kam noch ein Tommy dazu. Ich glaube, ich unterhielt an diesem Nachmittag die ganze Runde, aber ich weiß nicht, ob sie meine Geschichten interessant fanden oder fasziniert waren, wie viel Stuss ein einziger Deutscher in dieser kurzen Zeit schwafeln kann. Roman war jedenfalls begeistert, das Käffchen dort war sehr gut, und ich hatte richtig Spaß. Ich glaube außerdem, den anderen ging das auch so.

In Wien darf man übrigens nicht den Fehler machen, einfach Kaffee zu bestellen. Die Stadt rühmt sich ja mit ihrem Kaffee, aber man findet nirgendwo einfach "Kaffee" auf der Karte. Einspänner, Zweispääner, Kaffee Verkehrt, Fiaker, Melange, Café Latte, Häferl etc. Gibt's alles, und man kann sich offenbar auch nicht auf Namen einigen. Im einen Laden eine große Melange (Kaffee mit Milch), im anderen ein Häferl (bayrisch: "Haferl"), woanders wieder ein Café Latte, und natürlich lachen Eingeborene auch ständig, wenn man das falsche gewählt oder es falsch ausgesprochen hat. Mit "Käffchen" hab ich's gar nicht erst versucht.

Der nächste Programmpunkt, auf den ich mich besonders freute, war ein Wiener Schnitzel im "Goldenen Spiegel". Das ist eine schwule Stricherkneipe am Naschmarkt. Roman und die ganze Bande hatten gesagt, man könne da gut essen, und meine Neugier treibt mich ja sowieso in solche Buden. Entgegen meiner Erwartung war die Kneipe überhaupt nicht schmierig oder dreckig, sondern sehr atmosphärisch. Als Tapete ein Grauschwarzdruck nackter Kerle in Endlosreihe, golden umrahmte Bilder von Kaisern, Sissi und allerlei bärtigen Großherzogen an den Wänden, urige Tische und Stühle, schummriges gemütliches Licht und überall Dekokrempel.

Wir setzten uns an einen Tisch, und bald kamen Gernots Schwester Barbara mit Freund Markus und noch zwei Freundinnen (Vera und Isy) dazu. Ein spaßiger Abend verging in diesem Stricherlokal, und zu guter Letzt tauschten Gernot und ich dann doch noch die paar Daten, die wir uns den ganzen Tag hatten vornehmen wollen. Tibor lag die ganze Zeit beim Tisch und war wie unsichtbar.

Das Schnitzel war wirklich großartig, aber entgegen Romans Ankündigung, es sei deutlich besser als das in Andy[Apostoph]s Krablergarten in München, konnte ich genau das nicht feststellen. Es war aber so oder so sehr lecker, und ich staunte nicht schlecht, als im gemischten Salat auch Kartoffeln waren. Bei sowas würde man in Deutschland ziemlich doof dreinglotzen.


Montag, 31.12.

Brunch im Café Prückel. Dieses Mal endlich Platz bekommen. Wiener Frühstück für 6,90 Euro: mittelgroßer Milchkaffee, ein Ei, ein winziges Töpfchen Marillenmarmelade, zwei Kaisersemmeln, ein Päckchen Butter. Ich staunte nicht schlecht ob dieser unverschämt teuren Überschaubarkeit. Glücklicherweise hatte Roman dieses Phänomen vorausgesagt und ein "erweitertes" Wiener Frühstück bestellt: 8,50 Euro oder so, und dazu gab's dann zwei Scheiben Mortadella und zwei Scheiben Käse. Man überschlug sich also in der Küche. Das machte man aber auch im ganzen Laden. Die Kellner trugen alle schwarze Anzüge, die meist schlecht saßen und sie ziemlich debil aussehen ließen. Es verzog auch kaum einer eine Miene, und wir mussten erst einen in ein Gespräch über die Chefin des Lokals verwickeln, dass sie nicht so streng mit sich und allen anderen umgehen, sondern sich auch mal zu uns an den Tisch setzen sollte, damit er einmal lächelte. [Achtung: Jetzt kommt die Hitlerstimme] Zucht und Ordnung in Wien, jawohl, ich will schließlich das totale Frühstück. Der Laden wirkte übrigens mit seinen goldbraunen Sitzmöbeln mit den grünen Webbezügen ziemlich ommig. Stilvoll und gediegen, aber halt etwas altmodisch.

Gernot kam dazu, und wir schlappten wieder los. Noch einmal zu Meinl, weil ich noch mehr Kaffee brauchte. Das Pfund Espresso Spezial reichte mir noch nicht. Was, wenn der Kaffee wirklich so gut wäre und ich dann zu Hause eine andere der zwanzig Sorten trinken müsste, die dort schon jetzt lagen und die mich auch schon alle feucht im Schritt gemacht hatten?!? Undenkbar! Ich brauchte noch drei andere Sorten, kaufte von denen aber jeweils nur ein halbes Pfund für je 7,50 Euro. Die Welt lachte wieder.

Wieder Café gesucht, wieder überall angestanden, und einen Tisch im Café Central bekamen wir auch nur, weil Roman zwei Italiener verjagte, die plötzlich am Tisch standen und meinten, sie dürften sich setzen. Aber wir hatten die Bedienung gefragt, ob wir uns dort setzen dürften, und die hatte das bejaht. Und außerdem sah sie aus wie eine der Jakob Sisters. Das ist keine Übertreibung. Wir hatten also glasklar das bessere Argument.

Nach diesem Intermezzo trennten wir uns wieder. Roman brachte Kaffee und Tibor nach Hause, um noch zu arbeiten, und Gernot und ich nahmen die U-Bahn zum Gasometer, wo er derzeit bei einem Freund wohnte, damit wir uns wieder in einem Café hinsetzen und unterhalten konnten.
Aber auch aus dieser Unterhaltung wurde nur begrenzt etwas, weil Gernots Vater überraschend vorbeikam. Sehr netter Mann, und es war ein angenehmes Beisammensein, aber über Demos war da einfach schlecht zu sprechen. Zum Schluss taten wir aber auch das noch. Ich hatte tierisch Bock, mal wieder Musik für ein Demo zu machen.

Ich fuhr später zu Romans Wohnung zurück, und nachdem er und ich ein kleines Missverständnis geklärt hatten, das mit Gernots und meiner aufdringlichen Computerafferei zu tun hatte, machten er und ich uns zum Silvesterabendessen im "Entler" auf. Dort trafen wir drei Freunde: ein Pärchen namens Hannes und Werner und Hannes' langjährige Freundin Renate. Der Laden war pikfein und sehr modern, hatte cremeweiße Wände und Gewölbedecken. Es war sehr stilvoll aber schlicht dekoriert mit Birkenästen und roten Lampions, silbernen Christbaumkugeln und dezenter Beleuchtung. Ein Sechs-Gänge-Menü wartete auf uns, das ich euch nicht vorenthalten möchte. Ich hatte das Rindviech, und jeder Gang davon war eine Offenbarung. Wirklich jeder, auch das Champagnercremesorbet. Hier ist also das

Silvestermenü

Zur Begrüßung ein Glas Prosecco

Trilogie vom Thunfisch


Leichte Schwarzwurzelschaumsuppe mit Flan von der Entenleber und schwarzen Nüssen

Wachtelbrüstchen im Karottenmantel mit Gänseleberfülle und Keule mit Dattel-Limonenkonfit auf cremiger Polenta

Champagnercremesorbet

Wolfsbarschfilet an Seeigel-Beurre-Blanc mit grünen Bohnen, Trüffeln und Koriander
oder
Crêpinette vom Angusrinderfilet mit Barolo-Pfeffersauce, jungen Lauchzwiebeln und gebratenem Semmel-Trüffelknödel

Schokoladenmousse mit Cashewnüssen auf Ananascarpaccio, Schokoladen-Chilieis und Rumschaum

Die Jungs hatten für mich als Überraschung einen Hubschrauberrundflug um Mitternacht über Wien gebucht, aber wir kamen nicht dazu, weil das Dessert zu lang auf sich warten ließ und mir keiner was sagte, sodass ich nicht aufs Gas drückte. Ich hätte das noch locker zurechtgeschoben, auch wenn das bedeutet hätte, dass wir zwischendurch gehen und fürs Dessert zurückkommen. So saßen wir aber einfach da und aßen weiter, als alle anderen zum Walzertanzen aufsprangen.

Roman und ich verabschiedeten uns nach Abschluss von den dreien und fuhren zum "Flex", einer Disco mit mehreren externen Bars direkt am Donaukanal. Dort wollten wir dann Gernot und seine Bande wieder treffen, die dort wegen der Elektromusik hinwollten. Roman war erst unsicher gewesen, ob er mitwollte, kam dann aber doch mit. Schon vor den Treppen zum Donaukanalufer stießen wir auf etwas, das ich so krass noch nie gesehen hatte. Es standen dort viele Schwarze, die Drogen verkauften. Und ich meine nicht einfach "verkaufen". Sie drängten sie uns förmlich auf. Einer lief uns auf dem Rückweg bis zum Straßenrand nach, trotz mehrerer "Nein"s. Ich fand unglaublich, dass die Wiener Polizei bei jeder Geschwindigkeitsübertretung und bei jedem Falschparken hart durchgreift, dass es aber so einen krassen Drogenumschlagplatz geben kann, von dem auch jeder weiß.

Roman und ich fanden den Eingang zum Flex-Club erst nicht. Wir standen erst in einer total heruntergekommenen "Flex Spelunke", einer Hardrockkneipe mit entsprechendem Publikum. Dann gingen wir rüber in die Flex-Bar, was aber -- wie wir später herausfanden -- auch nicht der Club war. Ich wunderte mich schon, dass wir keinen Eintritt zahlen mussten, wie Gernot gesagt hatte. Aber dort lief ziemlich coole minimale Housemusik, und Bier ist Bier, auch dort.

Als Gernot schließlich auftauchte, war die Schlange vor dem richtigen Club so lang (Überraschung), dass wir uns entschlossen, statt dessen ins "Planetarium" zu fahren, das zufälligerweise wenige Minuten Fußweg von Romans Wohnung entfernt lag. 15 Euro Eintritt, und das war schon der von Isy heruntergehandelte Preis. Standardpreis: 18 Euro. Der Laden war tatsächlich ein Planetarium, und dort lief im Hauptbereich wieder die Sorte Minimalhouse, die wir schon in der Flex-Bar gehabt hatten. Nur teurer. Und auch wieder knallvoll, und natürlich standen wir auch dort eine Weile an.

Alle fanden's geil, bis auf mich. Ich stand eine Weile doof daneben und hatte nicht so richtig Bock zu tanzen, weil mir die Musik nicht wirklich zusagte. Es kamen alle der Reihe nach immer wieder und forderten mich auf mitzutanzen, und irgendwann war ich kurz davor, einfach zu gehen, weil's mir auf den Zeiger ging. Aber ich gesellte mich irgendwann doch noch dazu und gab ein paar Arschwackler zum Besten.

Schließlich waren Roman und ich dann um 6 Uhr im Bett, geschafft von Tag und Nacht. Keine schlechte Bilanz, wenn man bedenkt, dass wir erst nicht wussten, ob wir noch ins Flex wollten.


Dienstag, 01.01.

Wir standen erst nach Mittag auf, halb eins oder so. Und wir blieben zu Hause bis abends gegen 20 Uhr. Den ganzen Tag unterhielten wir uns sehr gut, tranken Kaffee und Tee, und erst abends gingen wir ein bisschen vor die Tür, um mit Tibor spazieren zu gehen. Noch ein Käsekrainer in der Innenstadt, der mich aber nicht so beeindruckte wie der erste, und am Ende ein Käffchen im Café Berg, in dem die Atmosphäre toll war und wir und Tibor ausgezeichnet bedient wurden. Ein toller Abschluss meines Wien-Aufenthaltes!


Mittwoch, 02.01.

Aufstehen um 5:00 Uhr, nach etwa drei Stunden schlechten Schlafes. Flug um 7:20 Uhr. So war's geplant. Roman brachte mich zum Flughafen, und ich stellte mich dann bei Austrian Airlines in die Schlange (Überraschung). Aber meine Flüge verspäten sich immer. Der Grund dieses Mal war, dass das Flugzeug vereist war und erst einmal vom Eis befreit werden musste. Das fiel den Heinis natürlich erst auf, als schon alle im Flugzeug saßen; und der ganze Prozess dauerte eine geschlagene Stunde. Ich hatte an diesem Tag noch frei, sodass es kein Problem war. Aber ich wundere mich manchmal, wie schlecht so manches geplant ist.

Und wie immer gab es auch dieses Mal die behämmerte Drängelei vor dem Aussteigen. Kaum ist man gelandet, reißen die meisten ja wie im Wahn die Sitzgurte auf, schnellen hoch und stellen sich möglichst schnell in Reihe, damit sie die ersten sind, die raus können. Dass die meisten am Ende dann doch wieder am Gepäckband stehen und auf ihren Mist warten, spielt dabei überhaupt keine Rolle.

Und natürlich gab es auch dieses Mal das behämmerte und besonders für Frauen typische Heranfahren mit der Gepäckkarre bis zum Gepäckband, sodass sie für andere und sich selbst den Weg versperren. Ich frage mich manchmal, ob nicht irgendwann der Punkt erreicht sein könnte, an dem auch der letzte Idiot begriffen hat, dass sowas asozial und vor allem auch noch für einen selbst kontraproduktiv ist, aber vermutlich ist die Angst, die vorbeirasenden Gepäckstücke nicht schnell genug vom Band wuchten zu können, so groß, dass Vernunft keine Rolle mehr spielt.

In Düsseldorf schien die Sonne; es war ein wunderschöner Tag. Nur architektonisch fuhr der Bus zufällig nur an Häusern vorbei, die sogar mir als für Architektur kaum Interessiertem die Tränen herunterfließen ließen. In so mancher deutscher Stadt haben sich Gestalter vergangen, sag ich euch.

Den Rest des Tages brachte ich mit Hausarbeit zu: Wäsche waschen, aufräumen, abwaschen, telefonieren und chatten. Was man halt so zu Hause macht.

Ein tolles Silvester war das. Ganz ganz großartig. Ehrlich, auch wenn das hier manchmal wie eine einzige Beschwerde klingt. Ich kann ja schlecht schreiben: "War alles toll." Dann ist der Artikel in wenigen Sätzen erledigt. Das geht ja nicht.

Und ich bin stolz, sagen zu können, dass mir Silvester toll gefallen hat, auch weil ich Roman, als er mir sagte, wir würden den Silvesterabend mit drei Freunden verbringen, davon erzählte, was für ein Kacksilvester ich vor einem Jahr erlebt hätte, und ankündigte, sofort zu gehen, wenn "deine Freunde Arschlöcher" sind. :)

War alles toll. Hannes, Werner, Renate: Ihr wart sehr unterhaltsam! I love you all, I love you all! Und Roman: Hab vielen lieben Dank für alles!