Montag, Juli 30, 2007

Wer einmal den Mund voller Scheiße hat, dem glaubt man nicht, auch wenn er die Wahrheit spricht.

Seit ziemlich genau eineinhalb Jahren laufe ich jedes Mal, wenn ich morgens vom Auto zum Büro gehe, an einem Graffiti-Schriftzug vorbei, der da lautet:

"I don't believe in what they say because their mouth is full of shit."
(zu Deutsch: "Ich glaube ihnen nicht, weil ihr Mund voller Scheiße ist.")

Und obwohl ich mir schon öfter Gedanken darüber gemacht habe, was mir der Urheber mit diesem Satz sagen möchte, tappe ich noch immer im Dunklen.

Es gibt -- so viel ist sicher -- eine Gruppe, vermutlich von Menschen, möglicherweise aber auch anderen sprachbegabten Entitäten wie Stimmen im Kopf, Geistern oder den Kastelruther Spatzen, denen der Autor Lügen unterstellt. Das wiederum aus einem zweifelhaften Grund. Die an dieser Stelle als wahr unterstellte Tatsache, dass diese Gruppe den Mund voller Stuhl hat, lässt er ausreichen, um seine Behauptung zu untermauern.
Ich muss zugeben, dass es mir durchaus schwer fiele, jemandem -- vor allem einer gesamten Gruppe! -- Glauben zu schenken, der seine Fressluke bis zum Anschlag mit Kot füllt. Der Grund läge jedoch eher darin, dass Menschen, die so etwas tun, höchstwahrscheinlich unzurechnungsfähig sind und wahrscheinlich schon Schwierigkeiten haben, ihren eigenen Namen zu nennen. Dass jemand den Mund randvoll mit Kot hat, macht wohl am ehesten schon die Aussprache völlig unmöglich. Auf die Wahrheit der mehr gespuckten als gesprochenen Tatsachen dürfte es da nicht mehr ankommen.

Eine Kleinigkeit finde ich übrigens noch bemerkenswert: Der Autor beschreibt, dass die besagte Gruppe nur einen Mund hat (der als mit Scheiße gefüllt beschrieben wird). Ich frage mich, ob der Autor da einen Übersetzungsfehler gemacht hat oder sich wirklich eine Gruppe von Leuten vorstellt, die so diversifziert ist, dass man von mehreren Entitäten spricht, aber trotzdem nur einen Mund hat, der dennoch allen gemeinschaftlich gehört.

Außerdem finde ich die mit diesem Geschmiere zum Ausdruck gebrachte Antihaltung zum Kotzen. Mein Erbrochenes könnte ich der Autorengruppe in den (kollektiven) Arsch tun und dann behaupten, ich wolle ihre Fürze nicht hören, da ihr Arsch voller Kotze ist.

Montag, Juli 23, 2007

Den Tag in Gold tauchen

Am Samstag fuhr ich zum Flughafen, um einen Bekannten dort abzuholen, der aus England kam. Die Sonne schien, und es war nicht zu heiß und trotzdem nicht kühl.

Der Tag war in einen fast herbstlichen Goldschleier gehüllt. Die Sonnenstrahlen durchbrachen die Flughafenglasscheiben und fluteten das Terminal. Sie fielen wie Federn schräg herab, benetzten wahllos vorbeischlendernde Besucher und Passagiere. Ich saß bei Starbucks auf der Empore und hörte der Klavierspielerin zu, die auf der Abflugetage Klavierversionen von Balladen und ruhigen Jazz Standards spielte. Die verhallenden Töne aus dem Flügel waberten durch das Terminal und hüllten alles in einen Mantel von Gold und Ruhe.

Meine Augen wurden glasig.

Dienstag, Juli 10, 2007

Meine Angst vor Ablehnung

Als ich heute vom Büro zum Auto ging, dachte ich darüber nach, was mich in diesen Tagen so beschäftigte. Auf dem CSD in Köln hatte ich einen Mann (nennen wir ihn „E“) kennen gelernt, dem ich meine Karte gegeben hatte und auf dessen Anruf ich wartete, weil wir überlegt hatten, uns morgen Abend zu treffen. Er hatte sich noch nicht gemeldet, und das beschäftigte mich, so wie mich auch beschäftigte, dass mir auch an anderen Fronten mehrere Leute gesagt hatten, ich sollte es ruhiger angehen lassen. Wie ich eben bin, hatte ich an mehreren Baustellen zu graben begonnen.

Irgendetwas machte mich rastlos und ständig nervös. Im Büro ständig Gayromeo-Nachrichten abgerufen, ständig daran gedacht, immer wieder mit Enttäuschung festgestellt, dass niemand sich gemeldet hatte. Ganz so, als könnte die Welt nichts Besseres zu tun haben, als mir zu sagen, wie lieb sie mich hat.

Und natürlich verursachte ich durch das Drängeln, das aus diesem Gefühl resultierte, genau das Gegenteil von dem, was ich wollte, nämlich Ablehnung. Selbst wenn mein Gegenüber mich nicht kennt und das Verhalten nicht einordnen kann, kann es deutlich spüren, dass ich von etwas getrieben werde, und das muss abschrecken. Aus all dem heraus fühle ich mich abgelehnt, obwohl das nicht einmal ansatzweise die Nachricht des anderen sein muss.

So dachte ich auf dem Weg darüber nach, was in den letzten Tagen passiert war, was mich beschäftigt hatte und warum ich so viel Zeit in Online-Foren verbringe, was ich dort mache und wofür, wonach ich suche, was ich mir ersehne, schlicht: was mir fehlt.

Und da stand die Erkenntnis plötzlich sonnenklar vor mir:

Ich habe schreckliche Angst vor Ablehnung.

Viele denken bestimmt, ich bräuchte Anerkennung, und als Kehrseite der Angst ist das wahrscheinlich nicht einmal falsch, aber getrieben werde ich von nicht mehr und nicht weniger als nackter Angst vor Ablehnung. Wenn sich jemand wie E, dem ich am Sonntag die Zunge in den Hals gesteckt habe, nicht zeitig meldet, werde ich unruhig, denke darüber nach, was ich falsch gemacht habe, mache mir Vorwürfe, dass ich Dirk an seine behaarte Brust gefasst habe, was E mitbekommen und zum Anlass genommen haben könnte, mich für ein Flittchen zu halten. Ob Letztes stimmt, interessiert an dieser Stelle wohl kaum, aber solche Sachen schwirren mir manchmal – wie in diesen Tagen – durch den Kopf, ohne dass irgend jemand einen merklichen Anlass dafür gegeben hat.

Angst vor Ablehnung. Ausgerechnet ich.
Nein, nicht ausgerechnet, sondern gerade ich.

Es ist so leicht, solche Ängste auf Erlebnisse in der Kindheit zu schieben, aber an zwei Aussagen meiner Mutter erinnere ich mich noch sehr deutlich. Als ich elf Jahre als war, war ich ordentlich übergewichtig, was sich bis kurz nach der Abiturzeit fortentwickelt hat. Was hätte ich schon anderes sein können, wenn ich den ganzen Tag vor dem Computer sitze und mich total ungesund ernähre.

Damals jedenfalls sagte meine Mutter – mehr als einmal –, ich müsste Hosen von Fünfzehnjährigen tragen, und ich sei so fett, dass sie sich „mit mir auf der Straße schämte“. Um das Bild abzurunden, mussten meine Schwester und ich natürlich als Kinder immer aufessen, egal, ob es gut schmeckte oder wir Hunger hatten. Ich hatte damals den Weg gewählt, der zu meiner Angst vor Ablehnung am besten passte: Ich passte mich an und aß immer auf, wurde dafür auch hin und wieder gelobt, während meine Schwester fast immer dafür abgekanzelt wurde, dass sie nicht aufessen wollte. Ich hatte scheinbar das bessere Los gezogen.

Und auch wenn ich heute weiß, dass die nun folgende Aussage mit meiner Schwester und mir nichts zu tun hatte, hat mich damals schwer getroffen, dass meine Mutter zu uns kleinen Kindern oft sagte, ihr größter Fehler im Leben sei gewesen, Kinder zu kriegen. Heute, wo wir nicht mehr bei unseren Eltern wohnen, sagt meine Mutter, ihr größter Fehler im Leben sei gewesen zu heiraten, und vermutlich kommt das der Wahrheit deutlich näher.

Seit ich denken kann, habe ich mit dieser Angst gelebt. Sie ist wahrscheinlich so alt wie ich, hat damit vor Kurzem ihren 30. Geburtstag gefeiert.

Deswegen weine ich in Situationen, in denen jemand einem anderen Menschen bedingungslose Liebe entgegen bringt. Vor vielen Jahren gab es eine Ultraman-Folge (Kinderserie), die mir all diese Jahre in Erinnerung geblieben ist. Zu Beginn der Folge bettelt die ca. 8 Jahre alte Schwester des Hauptcharakters (Junge, 13 oder so), er solle mit ihr spielen, und cool, wie er ist, sagt er, er hätte jetzt keine Zeit, verspricht aber, das später nachzuholen. Am Ende der Folge, als er mal wieder die Welt gerettet hat, gibt es im Prinzip die gleiche Situation noch einmal: Sie bettelt, er hat keine Lust und sagt, er werde später mit ihr spielen. Sie beschwert sich, er habe das doch schon vorher versprochen, und er ist schon auf dem Weg aus dem Zimmer, hält dann aber inne, dreht sich um und beginnt, mit ihr zu spielen. Als die Kamera daraufhin ihr überglückliches Gesicht zeigte, strömten mir die Tränen von den Wangen. Wie wundervoll; er hatte sie nicht abgelehnt, sondern ihr gezeigt, dass sie ihm wichtig ist!

Deshalb weine ich im „Poor Leno“-Musikvideo von Röyksopp. Dort wird die Thematik anders, aber nicht weniger wirkungsvoll aufgegriffen. Ein Leno (eine offenbar fiktive Tierart) wird in diesem Cartoon-Video in einem dunklen gefängnisartigen Raum in einem düsteren Zoo hinter Gittern gehalten, bekommt hin und wieder einen Napf mit Schleim zu essen und ist furchtbar einsam. Lenos, wird dem Betrachter gesagt, existieren nämlich in Paaren, während unser Leno allein und deshalb todunglücklich ist. Diesen Leno sieht man oft durch die Besucherglasscheibe sein Heimweh dadurch ausdrücken, dass er mit einem Löffel seine vertraute Umgebung, die Berge, in die Gefängniswand ritzt. Im Verlauf des Videos wird eine zweite Leno gefangen, die zum Ende auf der anderen Seite der Scheibe auftaucht. Sie legt eine Tatze auf die Scheibe, und er legt seine spiegelverkehrte auf die andere Seite der Scheibe und beginnt zu lächeln. Volltreffer.

So viele Dinge wurden mir bei dieser knappen halben Stunde Fahrt klar, die mit dieser Angst zusammen hängen!

Deswegen waren für mich Sexabenteuer immer nur so lange interessant, bis ich meine Beute im Bett hatte. Der eigentliche Fick hat mich bei One-Night Stands nicht interessiert, sondern die Erkenntnis, dass ich ihn tatsächlich ins Bett gekriegt hatte, dass er mich nicht abgelehnt hatte.
Deswegen werde ich nervös, wenn jemand, den ich attraktiv finde, sich nicht zeitig meldet. Deswegen mache ich nie eine Szene, wenn ein Partner mit mir Schluss macht. Er lehnt mich ab, ist der Auslöser meiner Angst vor Ablehnung. Welchen Grund könnte ich haben, bei ihm bleiben zu wollen? Natürlich fühle ich mich dann einsam, aber das ist im Vergleich zu meiner Angst vor Ablehnung auszuhalten. Deswegen würde ich für einen Partner, der mich so nimmt, wie ich bin, alles tun; wie könnte ich denjenigen, der mich unterstützt, mich mag, mich liebt, je verletzen oder gar verlassen?

Lange Zeit habe ich behauptet, man könne mich an einer langen Leine in einer Beziehung führen, nur eine kurze sei völlig ausgeschlossen, weil ich dann ausbräche. Als ich mit einem meiner Exe zusammen war, meinte ich, das ganz deutlich zu sehen. Als er anfing, eifersüchtig zu werden und ständig an mir herumzukritisieren, obwohl gar nichts war, fühlte ich mich abgelehnt, und da lag der Schritt, mit einem anderen Mann bedeutungslosen Sex zu haben, nicht weit. Deshalb kosteten mich auch die zahl- und endlosen Streits mit ihm so viel Kraft: Abgelehnter als in diesen Zeiten habe ich mich selten gefühlt.

Deshalb kann ich beim Sex nichts machen, das dem anderen nicht auch gefällt. Ich muss wissen, was der andere mag, weil ich es nicht ertragen könnte, von ihm beim Sex abgelehnt zu werden. Deshalb ist mir Sex in der Beziehung am liebsten: Ich kenne dort die Spielregeln, weiß, was mein Partner mag und was ich besser nicht machen sollte.

Aber auch im nicht-sexuellen Bereich gibt es unzählige Symptome dieser Angst.

Wegen genau dieser Angst brauche ich niemanden aus meiner ehemaligen Schulklasse wieder zu sehen: weil mich da eh niemand mochte. Was hätte ich verloren in einer Gruppe von Leuten, die heute nur danach suchen würden, was sie damals an mir doof fanden? So erklärt sich auch, dass ich auf meine Studienzeit nicht als tolle Zeit zurückdenke, obwohl daran sicherlich nicht alles schlecht war. Ich als eigentlich hervorragender Schüler schlug mich jahrelang durch ein Studium, das mir keinen Spaß machte, um am Ende mit zwei „ausreichend“-Examina da zu stehen, wo ich andere Sachen hätte machen können, die mir viel eher gelegen hätten, die ich liebend gern gemacht hätte, die mich erfüllt hätten.

Wie oft habe ich gedacht, ich könnte nicht allein sein, bräuchte Menschenkontakt, um meine Einsamkeit zu überdecken! Dann wiederum hielt ich es für wahr und gleichzeitig mir selbst gegenüber gelogen, wenn ich sagte, mir wäre Kontakt mit anderen einfach sehr angenehm.

In Wahrheit kann ich hervorragend allein zu Hause sein. Meine Wohnung ist wundervoll, und ich fühle mich dort sehr wohl. Was mich in Wahrheit unruhig macht, ist die Angst vor Ablehnung, das Gefühl, von niemandem gemocht zu werden, niemandem etwas zu bedeuten. Die spüre ich am ehesten, wenn ich allein zu Hause sitze, aber das Zuhause kann nicht das Geringste dafür.
Deswegen habe ich auch damals, als ich fünf Monate bei meinen Eltern gewohnt hatte und fertig mit den Nerven war, keine Angst vor dem Tod gehabt: Ich fühlte mich von der ganzen Welt ungeliebt, abgelehnt. Was hätte der Tod mir nehmen können, das ich nicht eh schon nicht hatte?

Deshalb ist es für mich kein Problem, aus Düsseldorf und auch aus Deutschland wegzugehen. Ein anderer Ort, ein anderes Land bietet so viele neue Chancen; wie könnte ich mich nicht dort hin ziehen lassen!

Und deshalb mag ich auch meinen Job nicht. Es liegt nicht an der Juristerei, obwohl es Bereiche gibt, die mich deutlich mehr interessieren würden, sondern daran, dass mein Chef mir ständig das Gefühl gibt, ich könne nichts gut genug machen. Er lehnt mich ab. Ich kann nicht anders, als mich unwohl zu fühlen. Deshalb fühle ich mich wohl, wenn er sich wohl fühlt, und schlecht, wenn er mich kritisiert.

So billig es ist, so klar ist mir, dass ich Tim aus Texas so unbeschreiblich mag. In wenigen Worten gibt er mir das großartige Gefühl, dass es auf der Welt jemanden gibt, der an mich denkt und dem ich etwas bedeute. Gerade er, der er nicht den geringsten Grund hat, so etwas zu schreiben, tut es einfach.

Der Fairness halber sage ich dazu, dass das auch schon andere getan und gesagt haben und dass es mir auch da weiß Gott (der, an den ich nicht glaube) nicht egal war. Und auch wenn es manchmal gesagt wird, kommt in manchen Situationen meine Art durch, mich daran nicht zu erinnern. Es fühlt sich dann an, als gäbe es für mich keinen Grund zu leben. Ich habe keine Todessehnsucht und sehe keinen Grund, mir das Leben zu nehmen. Aber manchmal sehe ich auch keinen Grund, warum ich es habe.

Und wer sich fragt, warum ich das alles so öffentlich in mein Blog schreibe, obwohl es da jeder lesen kann, hat’s noch immer nicht begriffen. Nicht obwohl es jeder lesen kann, tue ich es, sondern weil es hier jeder lesen kann. Ich bettele damit um Anerkennung, um Bestätigung. Diejenigen von euch, die es gegen mich verwenden wollen, werden nicht so weit vordringen, dass es weh tut, und euch anderen, meine lieben Freunde, wird es ein hoffentlich wertvoller Blick in mein Inneres sein.

Ihr seht: Ich versuche sogar mit dieser letzten Erklärung, Anerkennung zu erhaschen.

Und jetzt gerade hat mir E geschrieben, dass ich nicht ganz sein Typ bin. Das verdaue ich jetzt erst einmal.