Donnerstag, September 20, 2007

Herr Ford vom ADAC

Diese Geschichte ist schon ein paar Jahre her und liegt mir schon lang auf der Seele. Jetzt komme ich endlich dazu, sie mal in einem Rutsch herunterzuschreiben.

Wenn ich mich recht erinnere, war es die Vorweihnachtszeit 2002, als sich alles ereignete. Ich fuhr mit meinem damaligen silbergrauen Mercedes 190 E, der damals von Freunden von mir -- abhängig von Gruppenzugehörigkeit -- "Türkenbomber" oder "Homomobil" genannt wurde, an einem grauenvollen Freitagnachmittag auf der A2 von Bielefeld, wo ich damals wohnte, in Richtung Braunschweig, um meinen damaligen Freund zu besuchen. Der Tag war grau, verschneeregnet, windig und arschkalt, es herrschte also genau das Wetter, dessentwegen sich in Norwegen die Leute zu Tode saufen.

Es spielte irgendwelche Elektro-Downtempo-Musik, die ich so mag, und ich hatte wegen des schlechten Wetters die Heckscheibenheizung angeschaltet. Das hielt die graue Schneepampe gerade davon ab, sich dort festzusetzen. Ich hasste dieses Wetter. Nichts Halbes und nichts Ganzes: weder richtig kalt noch warm, weder sonnig noch richtiger Regen, weder stürmisch noch windstill, und natürlich hatte diese Suizidwerbung seit Wochen das Programm bestimmt.

Ein besinnliches Vorweihnachtswochenende sollte es werden, mit Vorbereitungen für das Fest der Liebe. Glaube ich. Das war in der Beziehung nicht ganz so einfach, weil wir uns damals regelmäßig in ausgiebigen und völlig belanglosen Streits ergossen, die ich weder kommen sah noch die irgendwas besser machten. Im Nachhinein frage ich mich, wie wohl viele meiner Freunde damals auch, was mich damals geritten hatte, die Beziehung so lang am Leben zu halten.

Es herrschte nicht nur das miese Wetter, sondern auch der übliche dichte Freitagnachmittagverkehr. Vermutlich wollte jeder nach Hause, Frau und Kinder liebkosen und Walnüsse mit Goldfarbe besprühen und zu Weihnachtsbaumschmuck machen. Wegen des Schneetreibens musste ich mich noch stärker als sonst konzentrieren. Ich mochte Autofahren schon damals nicht. Es gibt ja viele, für die das das Größte ist. Meiner Meinung nach sind das auch die Leute mit den kleinen Penissen. Mir jedenfalls ist Autofahren, vor allem bei solchem Wetter, derart dichtem Verkehr und bei den Lichtverhältnissen, zuwider. Ich mache es, aber Spaß ist was anderes.

Routinemäßig sah ich in den Rückspiegel und wunderte mich, warum die Heckscheibe wieder zugeschneit war. So dicht war der Schnee doch nun auch nicht; komisch. Ein Blick auf die Anzeige verriet mir, dass die Heckscheibenheizung abgeschaltet war. Hm, da musste ich sie wohl versehentlich abgeschaltet haben. Also wieder einschalten. Wenige Minuten später bemerkte ich, wie die Heizung erneut ausgegangen war, dieses Mal allerdings war ich sicher, dass ich sie angeschaltet hatte. "Was zum Geier", brummte ich vor mich hin.

Nach ein paar Minuten schaltete sich auch das Radio selbständig ab, und ich muss genau so ratlos geguckt haben, wie ich war. Was als nächstes passierte, weiß ich nicht mehr, aber mit einem Mal, als ich gerade auf der linken von drei Autobahnspuren fuhr, waren auch die Scheinwerfer ausgefallen, und die Servolenkung gab keinen Pieps mehr von sich. Dann ging der Motor kommentarlos aus. Ich sah mich um. Jede Menge Autos um mich herum. Verdammt.

Ich tat, was ich konnte: blinken (und erinnere mich nicht, ob die Blinker tatsächlich aufgeleuchtet haben) und mich mit zahllosen Schulterblicken auf den Standstreifen schlängeln. Hoffentlich sahen sie, dass mit meinem Wagen was nicht in Ordnung war, und ließen mich passieren. Zwei Spuren auf einmal bei diesem Verkehr zu wechseln, war vor allem ohne Licht eine ziemlich schlechte Idee. Es gelang mir jedoch irgendwie, und wenn man ein Auto unterm Hintern hat, das von Strom nicht mehr viel hält, ist "irgendwie" wohl wirklich gut formuliert.

Nur noch ausrollend bemerkte ich einen Rastplatz auf mich zukommen, nur noch wenige Meter! Tatsächlich reichte der Schwung des Wagens, um auf diesen Rastplatz und dort in eine Parkbucht zu fahren. Ich drehte den Schlüssel in die "Aus"-Position und versuchte ihn dann wieder zu starten. Er gab ein paar Ächzer von sich, mehr aber auch nicht. Noch einmal. Oioioioioioioi, dann nichts mehr. Scheiße, das fehlte gerade noch.

Ich warf einen Blick aus dem Wagen. Der Himmel war dunkelgrau geworden, und der Schneeregen war so dicht geworden, dass ich bei funktionierenden Scheinwerfern vermutlich nicht viel mehr als eine weiße Wand gesehen hätte. Was tun, hm hm.

Eigentlich blieb nicht viel außer, den Den ADAC anzurufen. Ich war (und bin) kein Mitglied dort, aber vielleicht würde ja die Mitgliedschaft meines Vaters reichen. Von ihm hatte ich eine alte Mitgliedskarte bekommen, die ich in meinem Geldbeutel aufbewahrte und auf der eine Telefonnummer stand. Also rief ich die Nummer über mein Mobiltelefon an, erklärte den Sachverhalt, auf welchem Rastplatz ich stand und was mein Wagen für Mätzchen machte, und man sagte mir zu, jemanden vorbeizuschicken, bat jedoch um meine Geduld, weil der ADAC an diesem Tag viele Einsätze führe. Dann verabschiedete sich der Akku; gerade noch mal geschafft. Das hätte mir noch gefehlt (nach Murphys Gesetz).

Nun ja, ich hatte keine Wahl, also wartete ich. Es wurde langsam kalt im Auto, und ohne Motor gab es keine Heizung und keine Musik. Sich draußen die Füße zu vertreten, war keine gute Idee, weil es draußen nass und außerdem arschkalt war. Aus meiner Bundeswehrzeit wusste ich allerdings, dass man nach etwa einer halben Stunde Stillsitzen auskühlt. Zu allem Überfluss hatte ich zu Hause nichts mehr gegessen, um ordentlich Kohldampf zu haben, wenn ich ankomme. Da saß ich also jetzt damit und hatte nicht einmal etwas zu trinken dabei. Ich sah mich schon in dramatischen Nachrichtenzeilen: "Junger Jurastudent in Benz verdurstet! Skandal!"

Die Zeit -- vor allem: die von mir zuerst gedanklich festgehaltene halbe Stunde -- verstrich. Nichts. Mir wurde tatsächlich kalt. Ich bin mir sicher, ich gab auch eine Warum-muss-mir-das-JETZT-passieren-Tirade von mir, was natürlich weder half noch die Zeit schneller verstreichen ließ. Weit und breit kein ADAC-Auto.

Es wurde immer dunkler. Nach eineinhalb Stunden schließlich -- es muss gegen 17:30 Uhr gewesen sein -- fuhr ein gelber ADAC-Wagen langsam über den Rastplatz an mir vorbei und hielt vor mir. Die Rettung war eingetroffen! Ich stieg aus dem Wagen.

Mein Held hieß Herr Ford. Was für ein passender Name, um beim ADAC zu arbeiten, und immer noch besser als Opel oder Suzuki! Er war etwa so groß wie ich, schätzungsweise Mitte 40, hatte kurzes weißes Haar und war braungebrannt, als wäre er gerade aus einem langen erholsamen Sommerurlaub zurückgekommen. Er sah toll aus mit seinem quietschgelben ADAC-Mantel und dem Lächeln in seinem markanten Gesicht, das mich schlicht umhaute. Er hätte locker Modell im Quelle-Katalog sein können. Als er mir die Hand gab, sah ich, dass er große kräftige und trotzdem grazile Hände hatte. Was für ein Kerl, unglaublich! Da standen wir mitten im Schneetreiben an diesem Scheißtag, und er lächelte, als gäbe es nichts Schöneres, als mir zu helfen. Ich sah nur sein Gesicht und seine Hände, aber ich hätte ihn sofort weggeheiratet.

Die Untersuchung meines Wagens -- dafür war er gekommen -- ergab, dass die Kontaktstifte von der Lichtmaschine zur Batterie abgenutzt waren (warum auch immer die überhaupt abnutzen können); das Teil musste getauscht werden. Murphys Gesetz hätte dafür sorgen müssen, dass ausgerechnet mein Wagen so exotisch war, dass er kein Ersatzteil dabei hatte. Immerhin konnte er kaum alle Ersatzteile für alle Autos dabei haben. Aber er hatte es, tatsächlich. Na gut, so exotisch war ein 190er offenbar nicht. So ein Auto mussten schon wegen des Spitznamens jede Menge Türken haben, und davon gibt es in Deutschland ja etliche.

So tauschte er das defekte Teil und gab mir Starthilfe; meine Batterie hatte ich ja mit der Heckscheibenheizung völlig leergelutscht. Mein Wagen lief wieder. Ich hatte noch immer den Gedanken nicht überwunden, dass diese Kohlenstifte allen Ernstes abnutzten.

Wir kamen zur Bezahlung. Wenn ich mich recht erinnere, war die Reparatur selbst kostenfrei, weil mein Vater Mitglied war (diese Konstruktion hatte ich nicht begriffen, aber der Wagen war auf ihn zugelassen; das half wohl), aber das Ersatzteil musste ich zahlen, und er konnte, sagte er, keine Kartenzahlung annehmen. Es musste bar sein. Obwohl es nur etwa 40 Euro kostete, hatte ich das Geld nicht in bar dabei, sodass ich ihn fragte, was ich tun könnte.
In meinen Gedanken zahlte ich seine Diensleistungen inklusive Ersatzteil natürlich völlig anders als in Geld, und hätte er auch nur einen Ton gesagt, hätte er alles von mir kriegen können, was er wollte. Ich traute mich nur nicht zu fragen, vor allem aus Angst, er könnte nicht für mein Team spielen und sich tierisch aufregen.

Es blieb also nicht viel; er fuhr mit seinem Wagen zu einem nahe gelegenen Geldautomaten, den er offensichtlich kannte, und ich folgte ihm. Die Aktion wirkte auf mich wie ein schlechtes Pornodrehbuch. So etwas konnte er doch unmöglich mit allen seinen Kunden machen, die Geld für Ersatzteile nicht dabei hatten, vor allem, wo viele Teile sicher deutlich teurer waren als meins. Oder? Jedenfalls holte ich am Automaten verabredungsgemäß Geld und gab ihm, was ich ihm schuldete. Vielleicht habe ich ihm auch Trinkgeld gegeben; ich weiß nicht mehr. Jedenfalls traute ich mich nicht, ihm auch meine Telefonnummer mit einem Hinweis auf zusätzliche Dankesdienste zuzustecken.

Er war während der gesamten Prozedur sehr freundlich gewesen, bedankte sich, und so fuhren wir wieder unserer Wege.

Seitdem erinnere ich mich immer wieder -- vor allem an grauen Vorweihnachtstagen -- gern an Herrn Ford, sowohl mit einem warmen Gefühl wie auch mit der Frage, wie er wohl reagiert hätte, wenn ich ihm damals -- wie auch immer -- ein Angebot gemacht hätte.

Das alles hätte gut eine Vorlage für einen billigen Sexfilm sein können. Einer wie die, in denen Sascha Hehn mitgespielt hat. Aber wer weiß, wie Herr Ford damals reagiert hätte? Ich leider nicht, und wenn er diesen Eintrag nicht liest, werde ich es wohl auch nie erfahren.

Nun … Kennt einer von euch Herrn Ford?

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