Mittwoch, September 26, 2007

Das geschlossene Sakko

Es gibt Verhaltensregeln, und das ist gut so. Ohne wüssten nämlich viele nicht, was sich gehört, und würden nackt auf der Straße herumlaufen, Blumen in Gewehrkolben stecken und die NPD gründen. Ach nein, Moment, die NPD gibt es schon. Das stellt jetzt meine These auf den Kopf.

Jedenfalls gibt es außerdem Menschen, die Verhaltensregeln vergöttern und überall als zwingend ansehen, ohne dass es ihnen dafür darauf ankäme, ob die Regeln dann noch Sinn machen.

Die meisten Menschen haben keine Idee, wofür Knigge seine Benimmregeln geschrieben hat, und sie wären vermutlich empört, wenn man sie darauf hinwiese. So wie sie wahrscheinlich empört über alles Mögliche sind. Empörung ist überhaupt eins der besten Indizien von Dummheit. All das ändert natürlich nichts daran, dass Knigge sich sehr wohl etwas bei seinen Regeln gedacht hat, was viele von sich nicht behaupten können. Aber das wäre dann wohl auch doppelt gemoppelt. Oder so.

Heute jedenfalls hat ein Mitarbeiter des Büros Geburtstag, und wie das bei uns üblich ist, hat ihm das ganze Büro gratuliert, mit Sakko, Sekt und Handschlag. Das ist zwar ziemlich steif, aber hier so üblich. Deswegen mache ich das auch. Gutes Benehmen und so.

So stand ich, wie andere Kollegen auch, in der Runde, allerdings mit offenem Sakko. Eine Kollegin, deren Sakko ebenfalls offen war, wies mich und die anderen Kollegen darauf hin, dass das Sakko zu schließen sei, natürlich -- das macht sie immer so -- mit einem Lachen. War ja ein feierlicher Anlass, verstehste? Ich hielt das für einen Scherz, und als ich mein Sakko daraufhin nicht schloss, sagte sie in die Runde: "Ah, der Kollege hat meine Bemerkung für einen Scherz gehalten." Mir war nicht nach Diskussion, und ich schloss meinen mittleren Sakkoknopf. Für Sie gilt die Regel nicht; sie ist eine Frau, und jeder weiß, dass Frauen ihre Sakkoknöpfe niemals schließen. Dann müssen nämlich blinde Kinder in Bangladesh sterben. Das wollen wir aber nicht; denn die müssen schließlich für einen Hungerlohn in Fabrikhallen eingesperrt die verranzten Karoflanellwesten für Motorradlesben zusammenklöppeln.

Ich wollte zum Geburtstag gratulieren, und mir ist völlig unklar, wie die Geschlossenheit meines Sakkos dazu beitragen sollte, dass meine Glückwünsche ehrlicher oder besser wirken. Vermutlich sollte das geschlossene Sakko eher die Übergeordnetheit demonstrieren oder so.
Jedenfalls fühlte sich die Kollegin wohl in ihrer Rolle als Sittenwächterin bestätigt. Das war gerade noch einmal gut gegangen. Nicht auszudenken, wohin das offene Sakko sonst noch geführt hätte.

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