Dienstag, Oktober 11, 2005

Ressort Sport: Das alte Gruß-Dilemma

Dieses Thema liegt mir schon länger auf der Seele, sodass ich endlich mal die Gelegenheit nutzen will, es niederzuschreiben. Dass man gerade an Flüssen, in oder bei Wäldern oder an Wanderwegen Joggern begegnen kann, dürfte klar sein. Aber ist allen anderen auch so klar vor Augen wie mir, dass hierzulande kaum einer von ihnen auf andere Jogger achtet?

Sicherlich wäre es töricht zu erwarten, dass Jogger jeden grüßen, der ihnen auf ihrem Weg begegnet. Schaden würde es sicherlich auch niemandem, aber es wird vermutlich nie passieren. Basta.

Allerdings wundere ich mich, dass so wenige von ihnen mich zurückgrüßen, wenn ich sie beim Joggen treffe. Und mit "Grüßen" meine ich nicht einmal wörtliches "Hallo"-Sagen. Eine Hand zu heben und Augenkontakt zu suchen, reicht ja schon. Sprechen fällt oft wegen der körperlichen Anstrengung ja auch recht schwer.
Jedennfalls: Wenn ich jogge, grüße ich JE-DEN Jogger (und für die Emanzenbeauftragten und -enthusiastischen auch JE-DE Joggerin). Warum auch nicht? Wir haben alle gemein, dass wir uns an diesem Tage aufgemacht haben, was für unser körperliches und wohl auch geistiges Wohlbefinden zu tun; vermutlich genießen wir alle die frische Luft (wenn man nicht gerade über die Theodor-Heuß-Brücke läuft, die Teil meiner Wegstrecke ist und geruchlich eher in die Kategorie "dreckige Pimmel in der Hölle blasen" gehört); wir alle können zu guter Letzt ein kostenloses freundliches Lächeln gut gebrauchen.

Das gibt aber fast keiner freiwillig von sich. Mit verbissenem Gesichtsausdruck kämpfen sich die schmerzgeplagten Individuen Meter um Meter über die Rheinwiesenwege, den Blick entweder stur geradeaus oder zu Boden gerichtet. Ein Aufschauen oder gar ein Lächeln völlig aussichtslos. Das würden sie nicht preisgeben, wenn sie anderenfalls ihren Erbteil der fetten Großtante mit den Goldzähnen und der einen schief runterhängenden Titte aufgeben müssten.

Überhaupt scheint Augenkontakt eine Plage zu sein. Manchmal ahne ich, dass ich aus der Entfernung schon wahrgenommen werde, aber dann, wenn man in Blickkontaktentfernung kommt, wird zielstrebig weggesehen, als gäbe es auf der anderen Blickseite was umsonst.

Dabei gibt es unterschiedliche Archetypen von Nicht-Hinschauern.

1.) Der sich ernst nehmende, weibliche, zielstrebige Frisörlehrling

Wunderschön kommt sie daher, wehendes blondes Haar, tolle Figur und ein vermutlich teurer Sportanzug. Da passt alles am Outfit wie Endividiensalat zu Sauseneilentdressing. Nur die Birne könnte mal durchgespült werden. So konzentriert und wichtig, wie dieser Typus tut, kann überhaupt niemand sein. Überwiegend findet sich bei dieser Spezies auch der unten näher beschriebene MP3-Player.


2.) Die eingeschüchterte Mittdreißigersekretärin mit ein paar Kilos zuviel

Oh, hat der Alte ne andere gevögelt, die Ehe ging in die Brüche, und man entdeckte Chips und Schokolade neu? Irgendwann stellte sich raus, dass ständiges Fressen DOCH nicht spurlos an einem vorübergeht? Was auch immer die unliebsamen Kilonen verursacht hat, mit ihnen kam die ganz furchtbare und zwangsläufige Erkenntnis, dass nunmehr die ganze Welt gegen einen ist, dass das Leben so keinen Sinn mehr macht und nun allerhöchstdringendstens Sport getrieben werden muss. Wegen der paar Kilos Übergewicht ist quasi die Welt im Arsch.

Sport ist gegen Übergewicht auch sicherlich eine gute Idee. Wenn man die Fresserei nicht los wird, sollte man wenigstens den Kalorienverbrauch steigern. Logisch. Was reingeht und nicht dort bleiben soll, muss halt irgendwie wieder raus, und wer auf Xenical-verursachten Fettstuhl und die damit einhergehenden versauten Unterhosen verzichten möchte, sollte sich auf mehr Kalorienverbrennung einrichten.

So entschieden sich besagte Damen nun zum Sport. So weit, so gut. Und auf lange Sicht wird er ihnen auch Ergebnisse bescheren.
Das eigentliche Problem dieser Damen scheint aber zu sein, dass ihr Ego durch ihre Pontons (oder durch etwas anderes, das mir verborgen bleibt) derart angeknackst ist, dass sie sich ungeliebt und unattraktiv finden und sich nie trauen würden, jemanden zu grüßen, der "Joggen schon viel länger macht und viel besser kann". So, als wären Übergewichtige beim Joggen schlicht beim Sport verkehrt und als käme es auf Menschen an, die übergewichtige Menschen per se als unliebsam und bestenfalls sogar fehl am Platze beim Sporttreiben ansehen.

Meine verehrten Damen, bitte lassen Sie sich nicht entmutigen! Sie sind auf dem richtigen Weg, und sehr bald werden Sie Erfolge spüren. Sie werden merken, wie Ihr Körper ihnen die Ertüchtigung dankt, und wenn Sie sich dazu durchringen könnten, Jogger im Vorbeilaufen zu grüßen und sich, statt sich beim Laufen in Grübeln zu tauchen, auf Ihre Umwelt (oder je nach Weltanschauung auch gern "Mitwelt") zu konzentrieren, würden Sie zudem -- Achtung: jetzt kommt der unglaubliche, ja gar anmaßende Teil der Aussage -- Spaß bei der Sache empfinden.

Probieren Sie es ruhig einmal aus; Sie schaden allenfalls Ihren negativen Gedanken, die sie so sehr liebgewonnen haben.

Das ganze geschriebene Gerümpel hier gilt natürlich auch für Männer; nur sehe ich eigentlich nie welche, auf die das hier zutreffen würde. Das lässt aber eher darauf schließen, dass man sich auf männlicher Seite einbildet, eine fette Bierwanne und von Gynäkomastie verursachte Specktitten seien bei Männern was ganz Großartiges.

Meine Herren: Darüber denken Sie doch bitte noch mal in Klausur nach, ja?


3.) MP3-Player- und Modemodelle

Gar zu oft begegne ich Leuten, die beim Joggen Kopfhörer tragen und -- so mutmaße ich -- Ihre Lieblingsmusik hören. Darauf schließe ich einfach, weil ich nie jemanden ausländische Wörter habe rezitieren hören, was auf einen Sprachkurs hingedeutet hätte.
So sehr ich Musik von ganzem Herzen liebe und mit ihr enger verbandelt bin als vermutlich die allermeisten Menschen, so wenig ist mir dieses Phänomen klar.

So vernebeln sich diese Menschen in ihren wirklich wunderschönen Kleidungsstücken aus den bekanntesten Modehäusern der Welt das Lauferlebnis, als wäre die böse Welt da draußen nicht zu ertragen. Der einzige Schluss, der sich mir aufdrängt, ist, dass denen die Schönheit des "ganzen da draußen" verborgen bleibt, dass sie vielmehr den Akt des Sports so negativ empfinden, dass sie wenigstens ihre Lieblingsmusik dabei hören möchten. Als hätten Vogelzwitschern, das Wasserrauschen des Rheins, der Wind und das Rauschen der Bäume nicht einen ganz unbeschreiblichen Reiz und Charme, wird plump der neue Linking Park-Kracher drübergebolzt. Oder von Britney, deren Namen viele nicht schreiben können.

Anbei sollte ich wohl erwähnen, dass ich auch ein paar Kleidungsstücke von bekannten Herstellern trage, so beispielsweise ein Oberteil aus dem Hause Nike, das wegen seiner Beschaffenheit auch bei kaltem Wetter den Schweiß so geil nach außen leitet, dass ich nie friere. Abgesehen davon sieht es geil aus. Unglaubliches Ding!


Bemerkenswert bei dieser ganzen Angelegenheit finde ich, dass gerade diejenigen, die Sport einfach um seiner selbst willen machen und genießen, ganz oft zurückgrüßen; ein tolles Gefühl. Augenscheinlich hat es auch etwas mit der Uhrzeit und dem Wochentag zu tun, wie oft Jogger zurückgrüßen. Wie es halt auch sonst in der Welt ist, brauchen sich "die Guten" nicht mit Scheiß wie "Ich bin so cool; ich brauch keinen zu grüßen" oder "Ich muss durchhalten, ich muss durchhalten!" herumzuschlagen. Die laufen einfach.

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