Mittwoch, November 28, 2007

Das Vorstellungsgespräch bei Frau Christ

Hach, die Welt hat doch immer wieder Lacher zu bieten. Gerade sitze ich bei meinen Bonner Busenfreunden auf der Couch; im Hintergrund läuft Nocturne Opus 48 von Chopin. Wir erzählen einander vom Tag und scherzen über alles Mögliche. Da bekommt Stephan einen Anruf auf seinem Handy. Er geht ran und meldet sich mit Namen. Am anderen Ende eine Frauenstimme. "Mnein, da sind Sie falsch verbunden." Gequäke in der Leitung. Sicherlich ein "Tut mir leid; da habe ich mich verwählt." -- "Ja, kein Problem." Wieder das Gekrächze am anderen Ende. "Nein, Sie haben 0172" gewählt. Wieder Gequäke. "Ja da haben Sie sich verwählt." Quak quak. "Kein Problem, schönen Abend." Er legt auf. Genug über nichts geredet. Passiert schon mal, dass einer sich verwählt.

Wir reden weiter.
20 Sekunden später klingelt das Handy wieder. "Das ist bestimmt wieder die Frau", sage ich.

Stephan schaut auf sein Display. Unbekannte Nummer. Ja, das wird sie sein. Er nimmt ab und stellt sich wieder mit Namen vor. Bekanntes Gequäke. "Nein, Sie haben schon wieder die 0172 gewählt, nicht die 0173." Ob die Frau überrascht ist, kann ich nicht hören. Stephan wiegelt das Telefonat wieder ab.

Ich: "Die ruft bestimmt gleich wieder an. Was wollte die eigentlich?"
Stephan: "Eine Frau Christ sprechen."
Kurze Stille im Gespräch. Wir warten, ob sie noch mal anruft.

Aber natürlich würde sie nicht noch mal anrufen. So doof ist doch niemand. Also unterhalten wir uns weiter.

Etwa eine halbe Minute später klingelt sein Handy wieder. Die gleiche Nummer wie vorher. Wir sind eine Sekunde lang sprachlos, aber ich gewinne meine Fassung schnell zurück. "Komm, gib mir das Handy", fordere ich Stephan auf, "ich tu so, als wär ich Frau Christ." Er lacht und zögert, gibt mir dann aber das Telefon. Ich vermute, er glaubt nicht, dass ich das bringe.

Ich gehe ran und sage mit der am schlechtesten nachgemachten Frauenstimme, die mein Repertoire hergibt: "Christ?" Ich klinge wie eine heisere Oma, die sich zum Kotzen über die Kloschlüssel gebeugt hat. Stephan kichert. Am anderen Ende wieder die Quaktante: "Ja hallo? Hier ist Nielsen (oder so; ich hab den Namen nicht mehr aufm Schirm)." "M-hm?", mache ich, um möglichst wenige Silben zu benutzen. Man würde so-fort merken, dass ich sie verarsche. Ich will noch sagen: "Verzeihung, meine Stimme ist ganz rauh", aber Frau Nielsen lässt mich gar nicht aussprechen. "Ich rufe an, weil ich mit Ihnen gern den Termin absprechen würde. Würde es Ihnen morgen passen?" -- "Ja, morgen ist gut", sage ich. "Wann wäre denn gut für Sie", kommt zurück. Ich bin extrem aufgeregt, weil ich gerade dabei bin, für eine völlig Unbekannte einen vielleicht sehr wichtigen Termin zu vereinbaren, zu dem sie unangemeldet auftauchen wird. "Zehn Uhr dreißig wäre gut", bringe ich unter großer Anstrengung heraus. So blöd kann doch niemand sein. "Zehn Uhr dreißig, ja, ist gut. Ach, sagen Sie doch bitte noch mal: Wie ist Ihr Name? Drist?" Frau Nielsen kennt also ihre Gesprächspartnerin nicht einmal gut, aber kann ich mich so weit aus dem Fenster lehnen, dass es reicht, um sie bei dem Namen zu korrigieren?
Kurz zweifele ich an meiner Kraft. Ach was soll's; aus der Nummer komme ich eh nicht mehr raus: "Nein, Christ, mit C H." -- "Ah gut." -- "Ist ja kein Problem." -- "Also einen schönen Abend!" -- "Ja Ihnen auch!"

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Stephan und ich sehen einander eine Weile ratlos an. Er grinst, und obwohl mein Gesicht mit einiger Sicherheit ebenfalls tiefe Furchen zeigt, habe ich große Gewissensbisse. Völlig geistesgegenwärtig sage ich: "Ich habe gerade für Frau Nielsen oder so einen Termin gemacht, bei dem Sie auftauchen wird, ohne dass irgendwer damit rechnet."

Was, wenn es ein Vorstellungsgespräch ist und viel für Frau Nielsen davon abhängt? Was, wenn ich ihr gerade ihre Zukunft versaut habe?

Stephan und ich entscheiden uns für schallendes Lachen.

Aber die Gewissensbisse übermannen mich. Sollen wir ihr nicht doch sagen, dass wir Sie verarscht haben, frage ich. "Mein Moralisator sagt mir, wir sollten das klarstellen." Energisch trete ich entgegen: "Was sollen wir ihr denn sagen?!? 'Hallo Frau Nielsen, wir hatten ihre behämmerten Anrufe satt und haben Sie verarscht'?"

Wir haben ihr dann doch eine SMS mit folgendem Text geschrieben:

"Verzeihen Sie bitte, Sie haben gerade nicht mit Fr. Christ gesprochen, sondern schon wieder die falsche Nummer gewählt. Ich habe mir einen Spaß mit Ihnen erlaubt. Rufen Sie besser mal die richtige Nummer an. Schönen Abend!"

Aber wahrscheinlich war der Termin völlig wurst, und Frau Nielsen ist einfach zu doof, um eine Nummer richtig ins Handy einzutippen. Stephan fiel später ein, Frau Nielsen habe sich vorgestellt als Frau Nielsen "von der Familienstätte" oder so. Das hilft nur leider nicht bei der Einschätzung, ob Frau Nielsen einen wichtigen Termin planen wollte oder ob sie doof ist.

Naja, aber wer ruft denn bitte auch noch für offenbar wichtige Termine um 19:30 Uhr an.


Nachtrag: 29.11.2007, morgens:


Heute Morgen wollte mich ein Gedanken nicht mehr loslassen: Frau Nielsen hatte sich nicht mehr gemeldet. Erst dachten wir: "Die dumme Kuh, hätte sich ja kurz bedanken können." Aber was ist, wenn sie aus irgendeinem Grund die Nachricht nicht mehr gelesen hat? Wenn sie nicht in der Lage ist, eine Telefonnummer richtig einzutippen, kann sie vielleicht mit SMS gar nicht umgehen. Was dann?

Naja, dann wird sie heute vermutlich um 10:30 Uhr bei Frau Christ auftauchen, und die wird große Augen machen. Das allein finde ich ja nicht so schlimm. Dann haben wir wirklich alles getan, was wir konnten.

Aber dann wird Frau Nielsen vielleicht Stephan anrufen und ihn beschimpfen; dabei kann er doch gar nichts dafür. Aber der nächste Lacher ist dann schon mal gesichert.

Nachtrag: 04.12.2007:

Kein Lebenszeichen mehr von Frau Nielsen. Sie hat also schlussendlich die richtige Nummer gewählt oder vor Verärgerung oder Einschüchterung das Handy ganz weggeworfen.

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