Donnerstag, Februar 09, 2006

Starre und Zachheit

Es gibt durchaus das eine und andere, das ich nicht leiden kann. Das wird wohl jedem so gehen.

Aber wenn eins ganz sicher dazu gehört, dann ist es, seine Zeit im Büro gänzlich sinnloserweise und rein gar nichts tuend abzusitzen und dabei noch so wenig zu verdienen, dass ich, hätte ich nur eine Prise Schamgefühl, nicht einmal meinen besten Freunden den tatsächlichen Tageslohn nennen könnte.

Langeweile, laut Wikipedia auch Zachheit genannt, ist ganz sicher eine der schlimmsten Geißeln, die auf der ganzen Welt existieren. Nach Krieg und allem, was Primärbedürfnisse umfasst, vielleicht, aber nach diesen Dingen folgt sie unmittelbar auf der Liste der verheerendsten Dinge der Welt.

Ich könnte mit meiner Zeit so viel anfangen. Theoretisch. Ich könnte bei Starbucks sitzen und in Peter Hofmanns neuem Buch "Das Feuer fremder Häuser" lesen, das ich im Moment, auch hier im Büro, lese, um nicht an Langeweile einzugehen wie übergossene Primeln. Oder ich könnte in der Niederrheintherme sitzen und meinen erst kürzlich gesundeten Körper mit haptischen Freuden beschenken. Möglich wäre natürlich auch, mir schlicht zu Hause einen von der Palme zu wedeln, weil mir nichts Besseres einfällt, während der Wasserkocher die passenden Gegebenheiten für Salbei-Honig-Tee schafft.

Es gibt sicherlich zahllose Möglichkeiten, mit Langeweile umzugehen. Wäre ich zu Hause und nicht in diesem Zentrum von Nächstenliebe und gutem Benehmen, das ich bekanntermaßen verabscheue (gutes Benehmen, sicherlich nicht dieses Büro), würde ich sogar hier meditieren.

Ach, wem will ich etwas vorlügen. Könnte man sich tatsächlich zu Tode langweilen, würde ich auch das tun, nur um irgendetwas zu tun zu haben.

In diesen Momenten kommt mir wieder der Schulungsraum im Rathaus Versmold aus meiner Verwaltungsstation im Referendariat in den Kopf. Das war sehr ähnlich. Damals verdiente ich allerdings mehr. Ach ja, das Referendariat: eine Goldgrube!

Wie in den letzten Monaten so oft, frage ich mich, wann sich das Gerücht legen wird, Rechtsanwälte verdienten "so viel". Das mag ja vor zwanzig Jahren so gewesen sein. Heute ist es etwa so wahr wie die Behauptung, Masturbation mache blind.
Da fällt mir ein, dass ich schon sehr lange nicht mehr beim Augenarzt war.

Das einzige, das mir übrigens als Grund einfällt, warum man im Mittelalter Langeweile nicht als Foltermittel eingesetzt hat, ist die relativ lange Zeit, die vergehen muss, damit Menschen -- insbesondere die weniger hell strahlenden -- unter ihr tatsächlich körperliche Schmerzen empfinden. Ich schätze, wenn man im Mittelalter von der zackigen Folterergilde kam -- quasi so etwas wie Moskau-Inkasso von 1600 --, dürfte man unter dieser Foltermethode selbst derartig starke Langeweile empfunden haben, dass die Folter auf den Folterer überschwappte.

Deswegen hat man's damals gelassen.

Aber es ist eine vielleicht ungeahnt brutale Folter. Man lässt jemanden einfach da sitzen und nichts tun. Gar nichts. Hätte ich ein Problem damit, nur mit mir selbst allein im Raum zu sein, wäre mir sicherlich der Kopf schon geplatzt oder ich hätte Pizza für den ganzen Laden unter falschem Namen bestellt oder so etwas.
Zu deren und meinem Glück komme ich mit mir selbst mittlerweile recht gut zurecht. Aber dennoch spürt man sein Blut durch die Adern strömen, hört die Regentropfen vom blaugrauen Himmel auf das Dachfenster, unter dem ich sitze, rattern wie Stecknadeln auf Parkettboden und ist -- in meinem Fall -- damit auseinander gesetzt, dass nächste Woche meine neue Beschäftigung bei KordtRechtsanwälte losgehen wird, auf die ich mich sehr freue, die mir auch jede Menge Arbeit bringen wird, ich aber bizarrerweise jetzt hier sitze und von der Außenwirkung her auch genauso gut tot sein könnte.

Viertel nach fünf.

Ich gehe jetzt.

Was sollen sie machen? Mir kündigen?

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