Dienstag, Oktober 23, 2007

Ja, auf FÜNFUNDDREISSIG QUADRATMETERN!

Seit etwa drei Monaten habe ich eine Mitbewohnerin. Ich kenne sie seit ziemlich genau zehn Jahren. Wir lernten uns im Oktober 1997 in Marburg zu Beginn unseres Jurastudiums kennen, in einer Eckkneipe, deren Namen ich glücklicherweise vergessen habe. In dieser Kneipe hatte ELSA (European Law Students Association) damals seinen Stammtisch, für den wir beide und eine Reihe anderer Erstsemester ("Frischfleisch") uns interessierten. Gott weiß, was mich damals geritten hat, da hinzugehen. Kontaktsuche vermutlich, die Suche nach dem Sinn des Jurastudentenlebens oder der schiere Drang, mir nach der entmutigenden Antrittsvorlesung des damaligen Dekans Prof. Dr. Schanze mit Anlauf die Rübe wegzuschießen.

Sie saß auch da, eine Metisse, eine schokobraune Schönheit mit langem schwarzem Haar und leichtem französischem Akzent. Sie sagte z. B. "Teeleefon" statt "Teelöfon", wie das sonst jeder machte. Was ich als Erstes sagte, weiß ich nicht mehr. "Hallo", vermute ich, oder irgendwas ähnlich Profanes. Ziemlich direkt danach polterte ich dann aber schon mit etwas wie "Nur dass ihr's wisst: Ich bin schwul." daher. So war ich damals. Heute ist mir diese Art sehr fremd, macht mir geradezu Angst, und ich bin sehr kontaktscheu geworden.

Amalia (Spitzname: Maia) (Name von der Redaktion geändert) hieß sie. Wir hatten damals beide in ELSA einen Vorstandsposten. Also jeder einen, nicht einen zusammen. Sie machte Academic Activities, ich Marketing. Das war lustig.
Nach fünf Semestern zog sie nach Berlin, ich nach Bielefeld. Das hätten wir beide viel früher machen sollen; entgegen landläufiger Meinung ist Marburg nämlich ein verfluchtes Dreckskaff voller profilsüchtiger Würste, Spinner, Geisteskranker und von Inzucht gebeutelter Eingeborener. Schon damals scheiterten meine Pläne, Marburg in Schutt und Asche zu legen, nur an meiner Gesetzestreue.
Und Bielefeld war entgegen meinem ersten Eindruck tatsächlich nicht so übel. Dass Berlin sehr gut gewesen wäre, hatte ich damals nicht auf dem Schirm gehabt.

Ich bewunderte Amalia immer für ihre Weltzugewandtheit, traute mich aber selbst nie, den großen Sprung zu machen. Sie war ständig auf dem Sprung, fuhr mit dem Zug fürs Wochenende nach Paris, war hin und wieder bei der Familie in Kamerun und hatte Freunde in fast jeder Großstadt in Europa. Und ich? Ich hatte eine Fernbeziehung in Wolfenbüttel, fuhr regelmäßig mit dem Regionalexpress nach Braunschweig und litt unter dem pöbelnden Abschaum, der immer in Herford ein- oder ausstieg.

Sie erzählte mir irgendwann mal von einer Regel von ihr: Sie wolle so viele neue Städte im Jahr besuchen wie möglich. Ach so ging das! Das konnte ich auch, dachte ich mir, und nahm die Herausforderung an. Dieses Spiel würde sie verlieren, ha! Aus Angst, sie könnte meine Teilnahme als Ansporn sehen, noch mehr reisen und mich gnadenlos abhängen, sagte ich ihr nichts davon. Als Stadt sollte, so definierte ich still und heimlich für mich, nur ein Ort mit mindestens 100.000 Einwohnern gelten. Das würde sie sicherlich auch so sehen und, wenn ihre Regeln eine niedrigere Zahl vorsähen, im Ernstfall Treffer von ihrer Liste streichen.

Es vergingen Jahre, und Examina wurden bestanden. Ich machte meine Wahlstation in Toronto, sie in Paris. Unentschieden. In meiner Zeit in Toronto besuchte ich allerdings San Francisco, Montreal, Manhattan und Buffalo. Sie? Keine einzige andere Stadt, die gezählt hätte. Dingdingdingdingdingding, and we have a winner!

Nach meinem zweiten Examen zog ich nach Düsseldorf; sie war nach Koblenz gezogen. Punkt für mich und Styleabzug für sie. Daran knapst sie heute noch, ha!

Irgendwann, als ich genug Punkte gesammelt hatte, erzählte ich ihr von unserem Wettbewerb, worauf sie mir sagte, dass sie gar nicht möglichst viele neue Städte im Jahr sehen wolle, sondern mindestens eine neue Hauptstadt im Jahr. Die Welt sollte nie wieder sein wie vorher; meine Siege wurden schlagartig zu Unentschiedens. Es blieben mir nur die Erinnerungen an tolle Zeiten. Ich hasse sie noch immer dafür.

Nach ihrem zweiten Examen war Amalia eine Weile arbeitslos. Dieses Schicksal trifft heute sehr viele Juristen nach ihrem Examen. Dafür muss man nicht einmal ein schlechtes Examen machen. Sie bewarb sich hier und da und wollte aus Koblenz weg. Wahrscheinlich um die Punkte wieder wettzumachen, die sie die Koblenz-Zeit gekostet hatte. Und da sie Arbeitsrecht macht, bewarb sie sich bei der Agenturbehörde für Arbeitsbeamte um einen Platz bei einem einschlägigen Fachanwaltslehrgang. Davon ahnte ich nichts.

Die Mitteilung kam am Freitag, dem 20 Juli: Fachanwaltslehrgang bewilligt. Er startet am 26. Juli. In Düsseldorf. Sie rief mich sofort an. Ich stand gerade in der Mittagspause an einer Bushaltestelle, um mein Auto aus der Werkstatt abzuholen. Gott weiß, was mit der Karre schon wieder nicht in Ordnung gewesen war. Es war sehr sonnig und heiß gewesen, und ich schwitzte und fühlte mich in meinem Anzug neben all dem blinden übergewichtigen Fußvolk deplatziert und hatte Angst, bei den Kleidungsfarbverfehlungen auch bald zu erblinden.
Ich sah, dass Amalia anrief, nahm den Anruf an, ließ mir vom bewilligten Fachanwaltslehrgang berichten und wartete ihre Frage gar nicht ab, sondern sagte direkt: "Klar kannst du bei mir wohnen." Bei ihr hatte ich nicht das geringste Bedenken. Sie hatte WG-Erfahrung noch und nöcher. Ich dagegen? Zehn Jahre allein gewohnt. Ob ich überhaupt mit jemandem zusammen wohnen konnte? In zwei meiner Beziehungen hätte ich lieber bei Aldi an der Kasse angefangen, als mit meinem Partner zusammen zu wohnen, und in den beiden anderen wollte der Partner nicht. Bilanz und Tendenz unklar.

Seit Mittwoch, dem 25. Juli wohnt Amalia bei mir. Bei mir = Einzimmerwohnung mit 35 m². Auf der Couch. Da schläft sie natürlich nur; sie darf sich sonst frei bewegen. Ich mache morgens hervorragendes Käffchen, sie oft hervorragendes Abendessen. Sie putzt das Klo, ich bügele und versuche, sie mit Handwerkern zu verkuppeln.

Wenn wir Freunden und Bekannten davon erzählen, dass wir zusammen wohnen, variieren die Wörter der Antworten, aber sie gehen alle in die gleiche Richtung. Und ja, allen Unkenrufen zum Trotze, das ginge doch nicht, wie hielten wir das aus und wir täten der Mit- und Umwelt leid, kommen wir großartig miteinander klar und genießen es. Wir haben nicht zu wenig Platz, es stört uns nicht, im gleichen Zimmer zu schlafen, und keiner von uns hat Ticks, die heruntergeklappte Klodeckel oder nicht gespültes Geschirr betreffen. Das Einzige, was wir beide gern hätten, ist mehr Platz für Klamotten, weil die gern wild in der Gegend verteilt werden.

Klar: Wir können uns nicht irgendwelche Leute zum Vögeln nach Hause einladen. Oder sagen wir genauer: Wir haben's bislang nicht versucht, weil wir nicht wissen, wie der andere darauf reagiert. Aber ich glaube, das Interesse daran ist sehr überschaubar. Es hat jedenfalls bislang keinem von uns Tränen in die Augen getrieben, und bevor es so weit kommt, sprechen wir das ab und weichen auf andere Betten für die Nacht aus. Angebote gibt es; man fühlt also mit uns. Oder man hat Mitleid; das lässt sich oft schwer abgrenzen.

Aber Mitleid ist völlig fehl am Platz, weil wir nicht aus finanzieller Not oder Angst vor Einsamkeit zusammen wohnen. Wir genießen das Miteinander und brauchen nicht mehr Platz. Wenn wir mal mehr haben, ist es auch in Ordnung, aber aktuell fehlt uns nichts außer einer neuen Flasche Campari.

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Amalia schließt sich dem an und ergänzt: brauche mehr Platz für meine Schuhe und Du für Deine Krawatten, die sich in letzter Zeit wundersam vermehren... Zum Glück werden weitere 35 Quadratmeter über die jetzige Wohnung frei. Wir werden also wohl oder übel, es bald mit einer "Fernbeziehung" versuchen müssen! Ich werde aber diese Zeit nie vergessen... und ich zeig Dir noch London, Riga...usw.

Pöt hat gesagt…

Ach die Fernbeziehung wird eine WEG mit ein paar Treppenstufen in der Diele sein! Und begehbarem Kleiderschrank! Ich muss schon jetzt bei der Vorstellung grinsen, dass du im Schlafanzug und mit der Bettdecke um die Hüften geschwungen morgens reinkommst und dich aufs Sofa setzt, während ich gerade Käffchen mache.

Unknown hat gesagt…
Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.
Anonym hat gesagt…

Ich möchte endlich auch mal was zu Pöts kleinem "Sammelsurium des Wahnsinns" beitragen: Ich durfte Amalia letztes Wochenende auf (m)einer Party etws kennenlernen und kann mir sehr gut vorstellen, dass sie ein sehr lieber und unkomplizierter "Gast auf Zeit" ist.

Auf diesem Weg Liebe Grüße an Euch beide,
eVa!

Anonym hat gesagt…

ich kenne die beiden recht gut ...
war ich doch auch einer derjenigen, der meinte "solltest du mal rauswollen, du kannst jederzeit bei mir schlafen" (vor der wohngemeinschaft, kannte ich nur pöt!)... bis heute war es nicht nötig und wird's auch nie werden ... es sei denn, amalia bekommt besuch zum f..... ;o)

ich habe mich beim lesen oft gelacht und kann nur bestätigen ... die beiden sind ein klasse "paar"!


;o) blueeyesd