Freitag, April 07, 2006

Ein Gefühl für Alzheimer

Manchmal sitze ich so da und denke mir, wie es wohl wäre, wenn ich an Alzheimer erkrankt wäre und mein Gehirn nicht mehr so mitspielen würde, wie ich mir das so vorstelle. Wie wäre es wohl, wenn man kurz auf die Toilette ginge und beim Zurückkommen die seit drei Stunden mit mir zusammen zu Abend essenden Freunde mit einem herzlichen Hallo und zugehöriger Umarmung zu begrüßen?

Kurz vorweg: Ich tue das hin und wieder völlig unabhängig von Geisteskrankheiten; denn mir gefällt der überraschte Blick auf den Gesichtern meiner Freunde. Abgesehen davon bin ich -- wie man in einschlägigen Kreisen sagen könnte -- chronisch untervögelt bzw. untervögelnd (allein wenn ich die dafür oft verwendete Abkürzung "C.U.V." dafür höre, schießt mir das Blut in rauen Mengen aus der Nase) und fummel einfach gern an anderen herum, so weit das in Gesellschaft eben geht.

Aber worauf ich eigentlich hinaus will, ist die Tatsache, dass mir dieses Vergessen, das wesentliches Merkmal von Alzheimerkrankheit ist, nicht ganz fremd ist. Es gibt Situationen, in denen es mir genau so geht, und die möchte ich kurz beschreiben.

Ich vergesse, was immer ich vorhatte, fast immer, wenn ich auf der Toilette war. Es ist kein Spaß, klingt aber selbstverständlich wie einer.

Regelmäßig sitze ich auf der Toilette und denke an etwas, und egal, wie fest ich es mir zu tun vornehme; sobald ich aus der Toilette komme, ist es vergessen. Bestes Beispiel ist: "Oh, das Klopapier ist bald leer. Da hole ich beim Rausgehen eben eine neue Rolle und lege sie parat, damit der nächste auch welches hat, wenn er sich hinsetzt." Ich garantiere: Wenn ich nicht außerordentliche Energien aufwende, um das auch tatsächlich zu machen, werde ich aus der Toilette kommen, und der Gedanke wird -- obwohl erst vor zehn Sekunden gehabt -- verflogen sein wie ein Erbsensuppenfurz auf dieser wild um sich drehenden Achterbahn auf der Düsseldorfer Kirmes. Schalter aus, Gedanke weg, unglaublich.

Und besonders bizarr ist, dass ich es nicht ändern kann. Egal, welches Mittel ich anwende, um dieses Phänomen zu drehen und wenden (ich weiß ja, dass es passieren wird; das macht es so surreal), es passiert immer wieder.

Manchmal passiert es nicht. Wenn ich wirklich viel Energie in den Gedanken gesteckt habe. Dann erinnere ich mich. Bei diesem kurzen Weg zum Klopapier dürfte mich niemand ansprechen, und ich dürfte vermutlich auch sonst keine Reize von außen bekommen; sonst wäre der Gedanke augenblicklich wieder weg, und ich würde machen, was halt gerade auf mich eingewirkt hat.

So wird es Alzheimerpatienten gehen, denke ich. Manche werden wohl zunächst merken, dass sie eher geduldete Gäste im eigenen Gehirn sind, und diese Ohnmacht muss ziemlich übel sein. Sich nur unter großem Energieaufwand -- und ältere Menschen haben ja generell weniger Energie zur Verfügung -- an die einfachsten Dinge erinnern zu können, ist nicht lustig.

Jedenfalls nicht für einen selbst.

Für andere wiederum ist das glaube ich sehr komisch. Ich fänd's ja auch lustig, wenn ich das bei anderen sehen würde. Und manchmal muss ich auch über mich selbst grinsen, wenn ich nach einer Weile wieder auf der Toilette bin und wieder die fast leere Rolle sehe.

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